Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit: Bestimmung des Verbrauchergerichtsstands in Ansehung eines Wohnsitzwechsels des - späteren - Beklagten; Anwaltszwang bei rügeloser Einlassung
Leitsatz (amtlich)
1. Der für die Anwendbarkeit des Lugano Übereinkommens II in räumlich-territorialer Hinsicht erforderliche Auslandsbezug eines Rechtsverhältnisses kann sich schon daraus ergeben, dass in einer Verbrauchersache i.S.d. Art. 15-17 LugÜ-II der Beklagte nach Vertragsschluss, aber vor Klageerhebung ins Ausland verzieht.
2. Jedenfalls in Verbrauchersachen i.S.d. Art. 15-17 LugÜ-II/EuGVVO unterliegt die rügelose Einlassung i.S.d. Art. 24 LugÜ-II/EuGVVO dem Anwaltszwang gem. § 78 Abs. 1 ZPO.
3. Der Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 1 LugÜ-II/EuGVVO steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beide Parteien ihren Sitz bzw. Wohnsitz in ein und demselben Vertragsstaat hatten.
4. Im Falle eines Wohnsitzwechsels des Verbrauchers ist für die Bestimmung des gem. Art. 16 Abs. 2 LugÜ-II/EuGVVO zuständigen Vertragsstaats auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen.
Normenkette
EGV 44/2001 Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 2, Art. 17, 24; ZPO § 78 Abs. 1; VollstrZustÜb 2007 Art. 15 Abs. 1; VollstrZustÜbk Art. 16 Abs. 2, Art. 17, 24
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 24.02.2012) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Traunstein vom 24.2.2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.473,58 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Mit Darlehensvertrag vom 02.11./28.11.1997 (Anlage K 1 = Bl. 47/56 d.A.) gewährte die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die R. bank Oberschleißheim, dem Beklagten, der seinen Wohnsitz damals in Rosenheim hatte, ein Darlehen "gemäß Verbraucherkreditgesetz" über 35.000,- DM zur "Finanzierung der Beteiligung an der D. Wohnbaufonds GbR". In der Folgezeit kam der Beklagte seinen Zahlungsverpflichtungen aus dem Darlehensvertrag nicht nach. Deshalb richtete die aufgrund Forderungsübergangs vom 19.7.2005 (Bl. 45 d.A.) an die Stelle der Darlehensgeberin getretene Klägerin im Laufe des Jahres 2010 diverse Mahnungen an den Beklagten, adressiert an dessen neuen Wohnsitz in der Schweiz (Anlagen K 3, K 4 und K 5). Mit Schreiben vom 4.5.2010 (Anlage K 6 = Bl. 62 d.A.) kündigte die Klägerin schließlich das Darlehen und stellte es mit einer Schlussforderung von 24.473,58 EUR (mithin der Klageforderung) fällig. Zahlungen des Beklagten erfolgten nicht.
Am 14.1.2011 ist bei dem zentralen Mahngericht Coburg ein Antrag der Klägerin auf Erlass eines Mahnbescheids eingegangen, in dem als Anschrift des Beklagten dessen Wohnsitz in der Schweiz angegeben ist und das LG Traunstein als Streitgericht bezeichnet ist. Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß am 24.2.2011 erlassen (Bl. 16/18 d.A.) und am 2.4.2011 zugestellt (Bl. 24/25 d.A.). Am 21.4.2011 ist der hiergegen gerichtete Widerspruch des Beklagten vom 17.4.2011 eingegangen (Bl. 39 d.A.). Nach Mitteilung hiervon an die Klägerin am 16.5.2011 (Bl. 41 d.A.) und Abgabeantrag der Klägerin vom 8.6.2011 (Bl. 43 d.A.) wurde das Verfahren durch das Mahngericht antragsgemäß am 22.6.2011 an das LG Traunstein abgegeben (Bl. 66 d.A.); die Akten sind dort am 29.7.2011 eingegangen (Bl. 68 d.A.).
Der Beklagte war erstinstanzlich nicht vertreten und ist auch zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Gleichwohl hat das LG nicht antragsgemäß Versäumnisurteil erlassen, sondern die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit abgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren auf Zahlung von 24.473,58 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 3.6.2010 weiterverfolgt.
Im Übrigen wird auf den Tatbestand der landgerichtlichen Entscheidung, auf die klägerseits in der Berufungsinstanz eingereichten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Auch in der Berufungsinstanz war der Beklagte nicht anwaltlich vertreten; zur mündlichen Verhandlung ist er nicht erschienen.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das LG Traunstein hat zu Recht angenommen, dass die deutschen Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit international nicht zuständig sind. Zuständig sind vielmehr gem. Art. 16 Abs. 2 des Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (ABl. EU Nr. L 339, 3; fortan Lugano-Übereinkommen II, LugÜ-II) die Gerichte der Schweiz.
1. Das Übereinkommen ist in zeitlicher Hinsicht auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbar gem. Ar...