Leitsatz (amtlich)
1. Der Betreiber einer Online-Handelsplattform, der als Störer für Urheberrechtsverletzungen von Anbietern haftet, kann ab Eintritt der Störerhaftung nach § 101a UrhG auskunftspflichtig sein.
2. § 101a UrhG ist eine andere Rechtsvorschrift i.S.d. § 3 Abs. 2 TDDSG.
Normenkette
UrhG §§ 2, 23, 101a; UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 242, 812; TDG §§ 2, 4, 8, 11; TDDSG §§ 3, 5-6; Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation Art. 6; Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums Art. 8
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 11.01.2006; Aktenzeichen 21 O 2793/05) |
Tenor
A. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG München I vom 11.1.2006 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I. Der Beklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Mitgliedern des Verwaltungsrats der Beklagten, verboten, an der Verbreitung deutscher Übersetzungen von lateinischen Texten aus dem Lehrbuch "Cu. Co., Texte und Übungen, Latein, Ausgabe A" (ISBN: 3-486-876-) im Internet unter der Domain-Adresse "www.e.de" mitzuwirken, wenn dies geschieht wie durch die Anbieter "3..", "j." oder "l." gemäß den nachstehend wiedergegebenen Internetausdrucken aus den Anlagen K 22, K 23 und K 26. [im Original folgt die Wiedergabe von vier vom 12.7.2005, 14.7.2005, 11.8.2005 und 12.10.2005 datierenden Internetausdrucken von Angeboten der genannten Übersetzungen, insgesamt 22 Seiten].
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 12.7.2005 Auskunft zu erteilen über Namen und Anschriften der Anbieter der Übersetzungen gemäß vorstehender Ziff. I. sowie über die Zeitdauer und den Umfang des Angebots der Übersetzungen gemäß vorstehender Ziff. I.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.
B. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
C. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
D. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 9/25 und die Beklagte 16/25 zu tragen.
E. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung in der Hauptsache abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 30.000 EUR, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Jede Partei kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Sitz in Deutschland, die aus drei Schulbuchverlagen besteht, macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz und Zweigniederlassung in Deutschland, die unter der Domain-Adresse www.e.de eine Online-Handelsplattform betreibt, Unterlassungs-, Auskunfts-, Schadensersatzfeststellungs- und Wertersatzfeststellungsansprüche im Zusammenhang mit der geltend gemachten Verletzung von Urheberrechten an Texten aus einem Lateinlehrbuch geltend.
Die Klägerin verlegt das Lateinlehrbuch "Cu. Co., Texte und Übungen, Latein, Ausgabe A" (Anlage K 25), das 1997 in 2. Aufl. erschienen ist. Die Klägerin wurde im Jahr 2004 darauf aufmerksam, dass Anbieter, die unter Pseudonymen auftraten, auf der Online-Handelsplattform der Beklagten deutsche Übersetzungen von lateinischen Texten aus dem genannten Lateinlehrbuch anboten, und beanstandete dies mit Anwaltsschreiben vom 2.9.2004 (Anlage K 7) und vom 22.9.2004 (Anlage K 12) ggü. der Beklagten. Diese gab die von der Klägerin geforderte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung nicht ab und erteilte unter Berufung auf datenschutzrechtliche Gründe auch nicht die von der Klägerin erbetenen Auskünfte betreffend Namen und Anschriften der Anbieter. Die Beklagte wies die Klägerin allerdings auf das von ihr eingerichtete sog. VeRI-Programm (Verifizierte Rechteinhaber-Programm, im Internet aufrufbar unter http://pages.e-.de/help/Community/vero-program.html.de) hin, das es Rechtsinhabern ermöglichen soll, schnell und unkompliziert schutzrechtsverletzende Angebote zu melden und einer Löschung zuzuführen sowie personenbezogene Daten zu den betreffenden Angeboten zu erhalten. Die Klägerin hat sich für dieses Programm bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht angemeldet.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt:
I. Der Beklagten wird es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel verboten, de...