Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsanspruch des Anscheinsstörers
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Anscheinsstörer steht bei polizeilichem Vorgehen ein Entschädigungsanspruch unter Aufopferungsgesichtspunkten in entsprechender Anwendung von Art. 70 BayPAG zu.
2. § 839 BGB ist neben Art. 70 BayPAG anwendbar. Es besteht Anspruchskonkurrenz.
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 11.10.2001; Aktenzeichen 3 O 425/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Kläger hin wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 11.10.2001 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand 76.202,48 Euro zzgl. 4 % Zinsen seit dem 23.9.2000 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Feststellungswiderklage des Beklagten wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass sich die Kläger auch bezüglich über die klagegegenständlichen Ansprüche hinausgehender Schäden aus dem Vorfall vom 8.4.2000 aufgrund des Umstandes, dass die Praxistür nicht verschlossen war, ein Mitverschulden von 15 % anrechnen lassen müssen.
IV. Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte 85 % und die Kläger 15 %.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger, die eine radiologische Arztpraxis betreiben, verlangen vom Beklagten Schadenersatz wegen Beschädigung eines Kernspintomographen durch Polizeibeamte.
Die Kläger betreiben in der .. in ... eine radiologische und nuklearmedizinische Arztpraxis. Am 8.4.2000 gegen 2.00 Uhr war auf der Straße aus den Praxisräumen ein anhaltender Pfeifton zu vernehmen. Die herbeigerufenen Polizeibeamten, die von einem Einbruch ausgingen, durchsuchten ergebnislos die Praxisräume. Wegen des Pfeiftons versuchten die Polizeibeamten vergeblich über die Einsatzzentrale die Praxisinhaber zu erreichen. Polizeiobermeister ... drückte einen roten mit "STOP" beschrifteten Knopf in einem Schaltkasten, woraufhin das Geräusch verstummte. Es hatte kein Einbruch vorgelegen. Das Pfeifgeräusch ging vom Kernspintomographen aus, war harmlos und wies lediglich auf einen Einstellungsbedarf am Gerät hin. Der vorgenannte Stop-Schalter dient zum Notabschalten des Kernspintomographen, um eine Person aus dem Magnetfeld zu retten oder das Magnetfeld bei Feuergefahr abzuschalten. Seine Betätigung führt zum schlagartigen Zusammenbruch des Magnetfeldes im Kernspintomographen. Dieser Vorgang ist nicht reversibel. Vielmehr musste der Kernspintomograph mit einem Kostenaufwand von 175.340,11 DM wieder in Betrieb gesetzt werden.
Die Praxis wird von den Klägern zu gleichen Teilen als Gemeinschaftspraxis in Form einer BGB-Gesellschaft geführt. Der streitgegenständliche Kernspintomograph ist Eigentum der BGB-Gesellschaft. Dr. ... war am 8.4.2000 nicht mehr Mitglied der Gemeinschaftspraxis, sondern dort nur noch abhängig beschäftigt. Den streitgegenständlichen Kernspintomographen hat Dr. ... nicht bedient, da er insoweit nicht fachkundig war und keine Umgangsgenehmigung hatte. Frau ... war in der Praxis als Schreibkraft ohne medizintechnische Ausbildung oder Kenntnisse beschäftigt.
Die Kläger haben im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass Polizeiobermeister ... ohne zureichenden Anlass den Kernspintomographen notabgeschaltet habe und folglich der Beklagte den Klägern den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen habe.
Die Kläger haben in erster Instanz beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zur gemeinsamen Hand 175.340,11 DM zzgl. 11,5 % Jahreszinsen hieraus seit 23.9.2000 zu bezahlen.
Der Beklagte hat in erster Instanz Klageabweisung beantragt und widerklagend die Feststellung begehrt, dass den Klägern keine, auch nicht über die klagegegenständlichen Schadensersatzansprüche hinausgehenden Schadensersatzansprüche aus dem Vorfall vom 8.4.2000 gegen den Beklagten zustehen.
Der Beklagte hat vorgebracht, dass der zufällig privat an den Praxisräumen vorbeikommende Polizeiobermeister ... von einem Einbruch in die Praxisräume ausgehen musste. Das Schließblech an der Praxistür sei aufgebogen gewesen, diese habe sich ohne weiteres öffnen lassen.
Die Aktivlegitimation der Kläger sei zu bestreiten.
Die Kläger hätten vorprozessual über den eingeklagten Schaden hinaus auch einen Verdienstausfall geltend gemacht und i.H.v. 50.000 DM auch aufrechterhalten. Deshalb werde Feststellungswiderklage erhoben.
Das LG hat am 20.9.2001 Beweis durch Einvernahme des Zeugen ... erhoben.
Mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.10.2001 zugestellten Urteil vom 11.10.2001, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das LG Ingolstadt die Klage abgewiesen und der Feststellungswiderklage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die am 25.10.2001 eingegangene und nach Fristverlängerung am 27.12.2001 begründete Berufung der Kläger.
Die Kläger machen geltend, es sei völlig unvernünftig und zur Abwehr einer etwaigen Gefahr auch ungeeignet gewesen, auf gut Glück hin irgendeinen STOP-Knopf zu drücken. Die Folgen seien für die Polizeibeamten nicht abzuschätzen gewesen. Es habe s...