Leitsatz (amtlich)
1. Die Statthaftigkeit des Urkundenverfahrens gemäß § 592 ZPO erfordert keinen lückenlosen Urkundenbeweis; nicht beweisbedürftige, weil etwa unstreitige Tatsachen, brauchen, von dem Fall der Säumnis gemäß § 597 Abs. 2 ZPO abgesehen, nicht urkundlich belegt zu werden.
2. Begriffsnotwendig erfordert ein Urkundenprozess allerdings die Vorlage zumindest einer Urkunde. Dieser Urkundenbeweis kann jedenfalls dann schon durch Vorlage einer Kopie angetreten werden, wenn die Echtheit und die Übereinstimmung der Kopie mit dem Original unstreitig sind.
3. Eine einseitige Teilerledigungserklärung lässt die Zulässigkeit des Urkundenverfahrens nicht entfallen; ggf. ist ein Vorbehaltserledigungsurteil zu erlassen.
4. Erlässt erstmals das Berufungsgericht ein Vorbehaltsurteil, so kann es auf Antrag einer Partei den Rechtsstreit für das Nachverfahren gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 5 ZPO analog an die erste Instanz zurückverweisen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts I. vom 23.10.2018, Az. 1 HK O 885/18, in Ziffer 1 abgeändert und neugefasst wie folgt:
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 19.736,09 EUR erledigt ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.115,43 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 32.845,52 EUR von 18.02.2018 bis 24.02.2018
aus 47.851,68 EUR von 25.02.2018 bis 25.06.2018
sowie aus 28.115,43 EUR seit 26.06.2018
zu bezahlen.
Im Übrigen beibt die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils wird aufgehoben. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Beklagten wird die Ausführungen ihrer Rechte vorbehalten.
Der Rechtsstreit wird für ein etwaiges Nachverfahren an das Landgericht Ingolstadt zurückverwiesen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Urkundenprozess die Bezahlung von Diesellieferungen.
Die Klägerin handelt mit Mineralölprodukten. Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen der Stadt I., das Busfahrten im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs in der Region I. betreibt.
Die Beklagte wird von verschiedenen ortsansässigen Treibstoffunternehmen mit Diesel beliefert. Seit November 2016 gehört auch die Klägerin zum Kreis der Lieferanten. Die Beklagte bestellte bei der Klägerin jeweils die Befüllung einer ihrer Tankanlagen. Der Kaufpreis richtete sich nach dem bei der Lieferung jeweils gültigen Tagespreis. Beim Befüllen der Tankanlage lief eine Tankuhr am Lkw der Klägerin, deren Messung auf dem Lieferschein abgedruckt wurde.
Auf diese Weise lieferte die Klägerin auf Bestellung der Beklagten hin am 15.01.2018 Diesel an die Beklagte. Auf dem Lieferschein ist dabei als Liefermenge gemäß der Anzeige der Tankuhr am Lkw der Klägerin eine Menge von 29.807 Liter abgedruckt (Anlage K1). Der an diesem Tag gültige Tagespreis betrug (netto) 92,60 EUR/100l. Die Klägerin stellte basierend auf diesen Daten eine Rechnung über (brutto) 32.845,52 EUR (Anlage K3). Die Rechnung ging der Beklagten am 18.01.2018 zu.
Am 22.01.2018 lieferte die Klägerin auf Bestellung der Beklagten erneut Diesel. Auf dem Lieferschein ist dabei als Liefermenge gemäß der Anzeige der Tankuhr am Lkw der Klägerin eine Menge von 13.865 Liter abgedruckt (Anlage K2). Der an diesem Tag gültige Tagespreis betrug (netto) 90,95 EUR/100l. Die Klägerin stellte basierend auf diesen Daten eine Rechnung über (brutto) 15.006,16 EUR (Anlage K4). Die Rechnung ging der Beklagten am 25.01.2018 zu.
Unter anderem bei diesen beiden Lieferungen der Klägerin hat ein Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge Z., die Füllmengen der Tankanlagen überprüft, indem er die jeweilige Tankfüllung der Tankanlage vor der Betankung und nach Betankung miteinander verglich. Für die Lieferung der Klägerin am 15.01.2018 ergab die Messung des Zeugen eine Befüllung von 29.320 Liter, mithin 487 Liter weniger als auf dem Lieferschein. Für die Lieferung am 22.01.2018 ergab die Messung des Zeugen eine Befüllung von 13.180 Liter, also 685 Liter weniger als auf dem Lieferschein der Klägerin. Wegen der übrigen auf diese Weise durch den Zeugen errechneten Füllmengen bei anderen Lieferungen wird auf die Liste auf Blatt 16 der Akte verwiesen.
Die Beklagte bezahlte die Rechnungen der Klägerin vom 15.01.2018 und vom 22.01.2018 zunächst nicht. Stattdessen erstattete die Beklagte Strafanzeige gegen die Klägerin wegen überhöhter Rechnungen und Täuschung über die tatsächlichen Liefermengen. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren ist bei der Staatsanwaltschaft I. unter dem Aktenzeichen ... anhängig.
Die Klägerin behauptet, sie habe tatsächlich die...