Entscheidungsstichwort (Thema)
Kongruente Verrechnungen auf einem Kontokorrent-Konto
Leitsatz (amtlich)
1. Die auf einem Kontokorrent-Konto vom kontoführenden Kreditinstitut vorgenommenen Verrechnungen sind dann kongruent im Sinne von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Kontoinhaber die ihm eingeräumte Kreditlinie überschritten hat oder der Kontokorrent-Kredit gekündigt ist, da nur in diesem Fall ein fälliger Anspruch des Kreditinstituts auf Rückführung des Kontokorrent-Kredits besteht.
2. Ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn das kontoführende Kreditinstitut durch die Ausführung von Lastschriften nicht die Fortführung des Geschäftsbetriebs des Kontoinhabers ermöglicht, sondern eigene Kreditforderungen tilgt.
Normenkette
InsO § 131 Abs. 1 S. 1, § 142
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 4 O 2068/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG München I vom 18.5.2001 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 146.546,20 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 5.3.2001 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 172.000 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000 DM.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten aufgrund Insolvenzanfechtung Zahlung wegen der von der Beklagten auf einem Kontokorrentkonto verrechneten Gutschriften.
Der Kläger wurde durch Beschluss des AG Charlottenburg vom 20.1.2000 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der U. GmbH bestellt. Am 14.9.1999 war Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft gestellt worden. Mit Beschluss des AG Charlottenburg vom 25.11.1999 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Bereits mit Beschluss vom 22.9.1999 hat das AG Charlottenburg eine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und den Nebenintervenienten zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Ferner wurde bestimmt, dass Verfügungen der Schuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Der Schuldnerin wurde die Einziehung von Außenständen untersagt und angeordnet, dass Drittschuldner ihre Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin bei Fälligkeit an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu entrichten haben.
Im Jahr 1996 hatte die Gemeinschuldnerin bei der Beklagten ein Kontokorrentkonto eröffnet und einen Kontokorrentkredit bis zu 1,5 Mio. DM vereinbart.
Einen Monat vor Stellung des Insolvenzantrages, also am 14.8.1999, befand sich das Konto mit 1.525.224,74 DM im Soll, die eingeräumte Kreditlinie war somit um 25.224,75 DM überzogen.
Im Zeitraum vom 20.8.1999 bis 25.10.1999 kam es auf dem Konto zu folgenden Buchungen:
Tag der Wertstellung Habenbuchung in DM Sollbuchung in DM Saldo in DM
20. 8.1999 29.914,26 – 1.495.310,48
23. 8.1999 50.000,00 – 1.445.310,48
30. 8.1999 – 7.583,33 – 1.452.893,81
30. 8.1999 – 10.200,35 – 1.463.094,16
30. 8.1999 –78,39
10. 9.1999 14.636,18 – 1.448.536,37
22. 9.1999 278,40 – 1.448.257,97
23. 3.1993 –52,50 – 1.448.310,47
1.10.1999 35.000,00 – 1.413.310,47
1.10.1999 – 7.583,33 – 1.420.893,80
4.10.1999 – 9.730,31 – 1.430.624,11
4.10.1999 –78,39 – 1.430.702,50
5.10.1999 – 17.747,93 – 1.448.450,43
5.10.1999 – 39.480,00 – 1.487.930,43
7.10.1999 41.917,70 – 1.446.012,73
15.10.1999 97,90 – 1.445.914,83
25.10.1999 –21,00 – 1.445.935,83
In dem genannten Zeitraum wurden somit Gutschriften i.H.v. 171.844,44 DM und Belastungsbuchungen i.H.v. 92.555,53 DM vorgenommen. Der Saldo wurde von 1.525.224,74 DM auf 1.445.935,83 DM zurückgeführt.
Bis auf zwei Lastschriften i.H.v. insgesamt 73,50 DM handelte es sich bei den Belastungsbuchungen ausschließlich um Forderungen der Beklagten wegen „Annuitäten” und „Rechnungsabschluss”.
Mit seinem Klageschriftsatz vom 16.1.2001 hat der Kläger die von der Beklagten nach dem 14.8.1999 vorgenommenen Verrechnungen der Gutschriften auf dem Kontokorrentkonto gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten, soweit der Schuldsaldo 1,5 Mio. DM unterschritten hat. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte durch die von ihr vorgenommene Verrechnung der auf dem Konto der Gemeinschuldnerin eingegangenen Gutschriften eine inkongruente Deckung erhalten habe, soweit die Kreditlinie von 1,5 Mio. DM nicht überschritten wurde. Die Beklagte habe keinen fälligen Anspruch auf Rückführung des vereinbarten Kontokorrentkredits gehabt. Ein Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO liege schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte auf dem Konto keine Verfügungen Dritter, sondern nur noch Verfügungen an sich selbst zugelassen habe. Der Kläger hat behauptet, dass der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin von der Beklagten angewiesen worden sei, Überweisungen, Scheckzahlungen und Lastschriften nicht mehr über das streitgegenständliche Konto abzuwickeln. Der Kläger hat ferner die Me...