Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Dringlichkeit in Patentsachen
Leitsatz (amtlich)
1. Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu wahrende Dringlichkeitsfrist beträgt einen Monat. Sie wird in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller Kenntnis von der fraglichen Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können. (Rn. 49)
2. Sobald der Patentinhaber das mutmaßlich patentverletzende Erzeugnis in den Händen hat, trifft ihn die Obliegenheit, den betreffenden Gegenstand zügig und umfassend auf das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu untersuchen. (Rn. 49)
3. Der Patentinhaber ist in der Wahl des durch ihn mit der Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform beauftragten Labors grundsätzlich frei, solange das betreffende Labor nicht von vornherein ungeeignet erscheint, um die von ihm geforderten Untersuchungen in einem zeitlich vertretbaren Rahmen durchzuführen. (Rn. 50)
Normenkette
EPÜ Art. 52, 87, 100 Buchst. a, c; ZPO § 945
Verfahrensgang
LG München (Urteil vom 04.11.2020; Aktenzeichen 21 O 11628/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Endurteil des Landgericht München I vom 04.11.2020, Az. 21 O 11628/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen wortsinngemäßer Verletzung des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 3 395 338 B1 auf Unterlassung in Anspruch.
Bei dem Verfügungspatent (vgl. Anlagen rop8a/8b), dessen alleinige Inhaberin die Antragstellerin ist, handelt es sich um eine Teilanmeldung des Europäischen Patents EP 1 663 182, die aus der internationalen Anmeldung WO 2005/034928 A1 (Anlage HW7) vom 10.09.2004 hervorgegangen ist. Das Verfügungspatent nimmt die Priorität der US-Patentanmeldung US 60/502,219 vom 12.09.2003 in Anspruch. Die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 01.05.2019 veröffentlicht. Das Verfügungspatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft (Anlage rop9).
Der Rechtsbestand des Stammpatents EP '182 wurde im Rahmen eines Einspruchsbeschwerdeverfahrens mit Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 12.04.2018 in geänderter Fassung bestätigt (Az. T 1063/15, Anlage rop23). Gegen das Verfügungspatent sind sechs Einsprüche anhängig. Mit Datum vom 05.03.2021 hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts eine vorläufige Stellungnahme abgegeben (Anlage rop40).
Gegenstand des Verfügungspatents ist eine Schnellauflösungsformulierung enthaltend Cinacalcethydrochlorid (Cinacalcet-HCI).
Patentanspruch 1 des Verfügungspatents
lautet in der englischen Verfahrenssprache:
A pharmaceutical composition comprising
a) cinacalcet HCI;
b) a pharmaceutically acceptable excipient comprising microcrystalline cellulose in an amount ranging from 25-85 % and starch in an amount ranging from 5-35 % and wherein the weight ratio of microcrystalline cellulose and starch ranges from 1:1-15:1, wherein the percentage by weight is relative to the total weight of the composition.
und in deutscher Übersetzung:
Eine pharmazeutische Zusammensetzung umfassend
a) Cinacalcet-HCI;
b) einen pharmazeutisch akzeptablen Arzneistoffträger, umfassend mikrokristalline Cellulose in einer Menge im Bereich von 25-85 % und Stärke in einer Menge im Bereich von 5-35 % und wobei das Gewichtsverhältnis von mikrokristalliner Cellulose und Stärke in einem Bereich von 1:1-15:1 liegt, wobei der Prozentsatz nach Gewicht auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung bezogen ist.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin einer Marktzulassung (Anlage rop11) für den deutschen Markt des Generikums ... das den Wirkstoff Cinacalcet-HCI enthält und in drei Wirkstoffstärken (30 mg/60 mg/90 mg Cinacalcet-HCI) angeboten wird (angegriffene Ausführungsform).
Die Antragstellerin ließ der Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.02.2020 (Anlage ropl) eine Berechtigungsanfrage zukommen. Auf eine mit anwaltlichem Schreiben vom 30.03.2020 (Anlage rop2) erneut an die Antragsgegnerin gerichtete Aufforderung zur Stellungnahme reagierte die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 06.04.2020 (Anlage rop3) und erklärte darin, dass sie grundsätzlich bereit sei, ein Muster ihres generischen Cinacalcet-Produkts zur Verfügung zu stellen. Nach weiterer Korrespondenz mit der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 04.05.2020 (Anlage rop7) mit, nicht bereit zu sein, ein Produktmuster zur Verfügung zu stellen. Die Listung des Generikums ... in der Lauer Taxe wurde am 24.04.2020 veröffentlicht und erfolgte zum 01.05.2020 (Anlage rop 13). Nach dem Erwerb eines Produktmusters der angegriffenen Ausführungsform durch die Antragstellerseite am 05.05.2020 in einer Apotheke in München (vgl. Anlage rop33) übersandte sie dieses am 11.05.2020 zur Analyse an das US-am...