Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Streupflicht am Neujahrsmorgen (vor 7:28 Uhr) wegen zu erwartenden geringen Verkehrsaufkommens; Außerhalb geschlossener Ortschaften sind nur gefährlichen Stellen abzustreuen

 

Normenkette

BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Passau (Urteil vom 14.01.2010; Aktenzeichen 1 O 350/09)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Passau vom 14.1.2010 - 1 O 350/09 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, den seine Ehefrau auf einer nicht gestreuten Bundesstraße erlitten hat.

Die Zeugin S. fuhr am Morgen des 1.1.2009 gegen 7.28h mit dem Fahrzeug des Klägers, einem Pkw Suzuki, auf der Bundesstraße 8 von V. kommend in Richtung P., als sie etwa bei Kilometer 1100 auf eisglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet. Der Wagen wurde über die Böschung der sog. "Löwenwand" hinaus auf einen Gleiskörper einer parallel zur Bundesstraße verlaufenden Bahnlinie geschleudert. Die Zeugin konnte den beschädigten Wagen noch rechtzeitig verlassen, bevor ein ICE den Wagen erfasste und ca. 100 Meter mitschleifte. Am Fahrzeug entstand Totalschaden.

Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil der fragliche Streckenabschnitt nicht abgestreut gewesen sei und müsse deshalb für den eingetretenen Schaden haften.

Das LG hat die Klage mit Endurteil vom 14.1.2010, auf das vollumfänglich Bezug genommen wird, abgewiesen.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Klageabweisung. Er ist der Auffassung, die Beklagte hätte die B 8 am Neujahrsmorgen abstreuen müssen, da sie im Bereich der Löwenwand - für den Kraftfahrer nicht erkennbar - besonders glättegefährdet sei und die Straße eine zentrale Verkehrsbedeutung habe.

Er beantragt in der Berufungsinstanz:

Unter Abänderung des am 14.1.2010 verkündeten Urteils des LG Passau, Az. 1 O 350/09 den Beklagten zur Zahlung von 14.420,10 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall der Brigitte S. vom 1.1.2009 auf der B 8 an der Löwenwand noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen

Im Termin vom 22.7.2010 hat der Senat die Zeugin Brigitte S. vernommen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung war zurückzuweisen. Zu Recht hat das LG eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten verneint. Insbesondere teilt der Senat die Rechtsauffassung des LG, dass sich der Unfall außerhalb der zeitlichen Grenzen der Verkehrssicherungspflicht ereignet hat. Der Beklagte musste angesichts des zu erwartenden geringen Verkehrsaufkommens am Neujahrsmorgen nicht bereits vor 7.28 Uhr dafür Sorge tragen, dass die B 8 im Bereich der "Löwenwand" abgestreut ist.

1. Zur Frage der Grenzen der Räum- und Streupflicht gibt es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefestigte Grundsätze, denen die OLG folgen und die - soweit ersichtlich - auch in der Kommentarliteratur nicht angezweifelt werden. Es gibt hierzu nicht nur die zentrale Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1963 (BGHZ 40, 379), sondern zahlreiche, auch neuere Urteile, in denen sich die seit Jahrzehnten maßgeblichen Kriterien wiederfinden.

Demnach gilt:

Da es praktisch unmöglich ist, alle Straßen zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Eis- und Glättebildung durch Streuen in einen ungefährlichen Zustand zu versetzen oder ständig darin zu halten, verlangt der BGH für Fahrbahnen und Wege innerhalb geschlossener Ortschaften ein Streuen nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen. Für Fahrbahnen außerhalb geschlossener Ortschaften sind nur die besonders gefährlichen Stellen abzustreuen, bei denen der Verkehrsteilnehmer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und der damit gebotenen erhöhten Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann (vgl. etwa BGH v. 20.10.1994 - III ZR 60/94, VersR 1995, 721).

Auch hinsichtlich der zeitlichen Grenzen wägt der BGH die Sicherheitsbelange des Verkehrs einerseits und die zumutbaren Möglichkeiten der streupflichtigen Körperschaft andererseits ab, wobei auf die jeweiligen konkreten Verhältnisse abzustellen ist (BGH v. 26.3.1992 - III ZR 71/91). Grundsätzlich sind Straßen und Wege nur für den normalen Tagesverkehr gegen Glätte zu sichern, wobei gebotene Streumaßnahmen morgens so rechtzeitig durchgeführt werden müssen, dass der vor dem allgemeinen Tagesverkehr liegende Hauptberufsverkehr geschützt wird. Da an Samstagen, Sonn- und Feiertagen signifikant weniger Verkehrsteilnehmer vor 8 Uhr bzw. 9 Uhr morgens unterwegs sind, als an einem normalen Arbeit...

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