Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzt- und Krankenhaushaftung: Zurücklassen eines Bauchtuchs im Operationsgebiet als grober bzw. einfacher Behandlungsfehler; Nachweis der Kausalität für postoperative Beeinträchtigungen und Höhe des Schmerzensgeldes wegen einer Revisionsoperation
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 06.08.2012; Aktenzeichen 9 O 16332/10) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG München I vom 6.8.2012 bzw. 5.11.2012 - 9 O 16332/10 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag von 2.750 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 6.4.2009 zu zahlen, zzgl. außergerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 1.150,49 EUR.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung vom 7.12.2007 im Universitätsklinikum G. entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt 92 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten und des Streithelfers. Im Übrigen trägt der Streithelfer seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Beklagte trägt 8 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 76.065,05 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung wegen des Zurücklassens eines Bauchtuches im Zuge eines operativen Eingriffs.
Im Oktober 2002 wurde bei der damals 52 Jahre alten Klägerin eine Krebserkrankung (Liposarkom) im Bereich des linken Nierenbeckens diagnostiziert. Es erfolgte eine Operation der befallenen Organe. In der Folgezeit traten Rezidive auf, die ebenfalls operativ behandelt wurden. Im Anschluss an eine Rezidivoperation im September 2006 unterzog sich die Klägerin von Januar 2007 bis September 2007 einer Chemotherapie in Kombination mit regionaler Hyperthermie. Nach Abschluss des achten Chemotherapiezyklus wurde im September 2007 erneut ein Rezidiv des Liposarkoms im linken Oberbauch mit Kontakt zum Pankreas, zum Magen sowie zu Dünn- und Dickdarmanteilen festgestellt.
Am 7.12.2007 unterzog sich die Klägerin deshalb einem umfangreichen operativen Eingriff bei der Beklagten. Der Streithelfer war der verantwortliche Operateur. Es erfolgte eine Kompartmentresektion mit Magenteil-, Pankreas- und Dünndarmteilresektion sowie Hemicolektomie links. Vor Abschluss des Eingriffs blieb unbemerkt ein Bauchtuch im rechten kleinen Becken der Klägerin zurück.
Hinsichtlich der Details der bei der Beklagten üblichen Zählkontrolle und der Dokumentation zum streitgegenständlichen Eingriff wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Die Klägerin wurde am 17.12.2007 aus der stationären Behandlung der Beklagten in die ambulante Betreuung der Klinik Dr. A. in S. entlassen. Sie litt in der Folgezeit an rezidivierendem Erbrechen. Im Zuge einer radiologischen Funktionsuntersuchung wurde in der A.-Klinik am 11.1.2008 ein röntgendichter, s-förmiger Fremdkörper im Unterbauch der Klägerin festgestellt. Eine am 11.1.2008 erfolgte Überprüfung der Magen-Darm-Passage ergab einen ungehinderten Durchgang von Kontrastmitteln. Am 14. und 15.1.2008 erfolgten Ösophago-Gastro-Duodenoskopien in der A.-Klinik. Es wurde eine Magenausgangsstenose diagnostiziert.
Am 16.1.2008 erhielt die Klägerin im Hause der Beklagten eine Ernährungs- und eine Ablaufsonde. Eine Endoskopie zeigte eine ausgeprägte Faltenbildung im Bereich des Magenausgangs. Von 17.1.2008 bis 26.1.2008 befand sich die Klägerin wieder in stationärer Behandlung in der A.-Klinik.
In der Zeit von März/April 2008 wurden zwei Zyklen einer Chemotherapie mit reduzierter Dosierung in der A.-Klinik durchgeführt. Eine dort am 12.3.2008 durchgeführte CT-Untersuchung zeigte wieder einen Fremdkörper - es handelte sich hierbei um das zurückgelassene Bauchtuch - im Form einer 9 cm großen Raumforderung intrapelvin, dicht cranial der Harnblase.
Am 15.5.2008 wurde der Fremdkörper im Unterbauch der Klägerin im Rahmen eines zweitägigen stationären Aufenthalts im Klinikum der Beklagten operativ entfernt.
Im Juli 2008 wurde die Chemotherapie fortgesetzt. Die Staginguntersuchung vom 12.8.2008 erbrachte erneut den dringenden Verdacht eines liposarkomatösen Tumorrezidivs, 2009/2010 wurden wegen Rezidiven weitere operative Tumorexzisionen im Bauchraum vorgenommen.
Die Beklagte hat vorgerichtlich einen...