Leitsatz (amtlich)
1. Wurde dem Betreuer eines geschäftsunfähigen Alleinerben durch das Vormundschaftsgericht die beantragte Genehmigung des Verkaufs von Aktienwertpapieranlagen aus dem erblasserischen Vermögen versagt, weil nach übereinstimmender Auffassung von Vormundschaftsgericht und Beschwerdegericht ein Genehmigungstatbestand noch nicht vorlag, da österreichisches Erbrecht zur Anwendung kam und der geschäftsunfähige Betroffene nach österreichischem Recht noch nicht Volleigentümer der Wertpapiere geworden war, und ist erst das Rechtsbeschwerdegericht anderer Auffassung, da die Stellung des Betreuten nach Annahme der Erbschaft und vor Einanwortung nach österreichischem Recht dem Volleigentum soweit angenähert sei, dass Verfügungen, die diese Rechtsposition betreffen einer Genehmigung nach § 1812 BGB bedürfen, so steht dem Betreuten wegen "verspäteter" Genehmigung und verlustreicher Aktienverkäufe (infolge des zwischenzeitlichen Börsencrashs) ein Amtshaftungsanspruch bzw. ein Anspruch auf Entschädigung aus einem enteignungsgleichen Eingriff wegen der zu Unrecht zeitweise nicht erteilten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht zu. Es fehlt insoweit an einer schuldhaften Amtspflichtverletzung sowohl des Vormundschaftsgerichts als auch des Beschwerdegerichts, und zwar sowohl bezüglich des Inhalts der Entscheidungen als auch des zeitlichen Ablaufs.(Rz. 29)
2. Ein Anspruch aufgrund des Instituts des enteignungsgleichen Eingriffs kommt bereits deshalb nicht in Betracht, da nachteilige Folgen objektiv fehlerhafter, aber vertretbarer richterlicher Entscheidungen grundsätzlich hinzunehmen sind und kein entschädigungspflichtiges Sonderopfer darstellen.(Rz. 30)
Normenkette
BGB §§ 839, 1812; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 10.11.2010; Aktenzeichen 15 O 4/10) |
Tenor
I. Die Berufungen des Klägers und seines Streithelfers gegen das Urteil des LG München I vom 10.11.2010 - 15 O 4/10 werden zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers, die dieser selbst trägt.
III. Das Urteil und das in Ziff. I genannte landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 166.162,82 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz im Wege der Amtshaftung bzw. Entschädigung aus einem enteignungsgleichen Eingriff wegen einer zu Unrecht zeitweise nicht erteilten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung.
Der Kläger (geboren am 20.8.1970) ist geschäftsunfähig. Sein Vater, ein österreichischer Staatsbürger, verstarb am 8.5.2008. Der Vater hinterließ ein Testament vom 28.10.1990, in dem er den Kläger als Alleinerben einsetzte. Der Vater des Klägers, der zum Zeitpunkt seines Todes in Österreich gemeldet war, war vermögend. Unter anderem war er Inhaber eines Aktiendepots bei der L. Landesbank (LLB).
Mit Beschluss des AG Starnberg vom 17.6.2008 wurde der Streithelfer, ein Rechtsanwalt, antragsgemäß zum Betreuer des Klägers bestellt (Anlage K 1). Zu seinen Aufgaben zählen u.a. die Vertretung im Nachlassverfahren sowie die Vermögenssorge. In seiner Funktion als Betreuer stellte der Streithelfer bei dem nach österreichischem Recht zuständigen Verlassenschaftsgericht einen Antrag auf Erbantritt. Am 30.7.2008 bestätigte der Gerichtskommissionär die bedingte Erbantrittserklärung des Betreuers namens und für den Kläger zum Nachlass des verstorbenen Vaters des Klägers (Anlage BK 3). Die nach österreichischem Recht erforderliche Einantwortung in den Nachlass nach § 797 Satz 2 ABGB erhielt der Betreuer erst im Dezember 2008.
Die LLB teilte dem Betreuer mit Schreiben vom 7.8.2008 mit, dass sie eine vormundschaftliche Genehmigung für die Änderung der Anlagerichtlinien nicht für nötig halte (Anlage K 3). Mit Schriftsatz vom 25.8.2008 stellte der Betreuer dennoch beim Vormundschaftsgericht einen Antrag auf Genehmigung des Verkaufs von Aktienwertpapieranlagen aus dem erblasserischen Vermögen bei der LLB und Wiederanlage des Erlöses als Festgeldguthaben und verzinsliche Wertpapiere bei der Bank (Anlage B 2). Die Rechtspflegerin wies den Antrag mit Beschluss vom 11.9.2008, zugestellt am 16.9.2008, mit der Begründung zurück, dass kein Genehmigungstatbestand gegeben sei, da die betroffenen Vermögenswerte noch kein Eigenvermögen des Betreuten darstellten und damit eine wirksame Vertretungsbefugnis des Betreuten bzw. seines Betreuers für diese Vermögenswerte nicht festgestellt werden könne. Nach österreichischem Recht sei der Nachlass bis zur Einantwortung eine eigene Rechtsperson. Ungeachtet dessen könne der Betreuer nach eigenen Angaben auch ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung über das Wertpapierdepot verfügen. Es obliege allein s...