Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz, Unfall, Kollision, Haftungsquote, Spurwechsel, Sicherheitsabstand, Beweisaufnahme, Anspruch, Ampel, Mithaftung, Nachweis, Klage, Bremsung, LKW
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 17.09.2021; Aktenzeichen 17 O 1642/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 18.10.2021 wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 17.09.2021, Az. 17 O 1642/20, abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz teilweise bejaht, indem es von der Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens ausgegangen ist und demgemäß orientiert an den jeweiligen Betriebsgefahren der beiden an dem Unfall beteiligten Fahrzeugen eine Haftungsquote von 60 zu 40 zu Lasten der Beklagten angenommen hat. Vielmehr haftet der Kläger hinsichtlich der streitgegenständlichen Kollision aufgrund des gegen ihn streitenden Anscheinsbeweises des Verstoßes gegen die Vorschrift des § 7 V StVO alleine, so dass die Klage vollumfänglich abzuweisen ist.
1. Der Einzelrichter ist aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten erneuten Beweisaufnahme der Überzeugung, dass das Klägerfahrzeug nur wenige Meter und damit knapp vor dem Beklagtenfahrzeug, nachdem es dieses links überholt hatte, nach rechts auf dessen Spur zurückgewechselt und anschließend nur kurz wieder geradeausgerichtet gefahren ist, bevor der Kläger aufgrund der auf gelb umschaltenden Ampel eine starke Bremsung des Klägerfahrzeuges bis zum Stillstand eingeleitet hat und das Beklagtenfahrzeug dem Klägerfahrzeug daraufhin hinten aufgefahren ist.
Weiter konnte sich der Einzelrichter aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten erneuten Beweisaufnahme keine dahingehende Überzeugung bilden, dass das Klägerfahrzeug nach dem streitgegenständlichen Spurwechsel vor das Beklagtenfahrzeug so lange im gleich gerichteten Verkehr spurgleich vorausgefahren ist, dass das Beklagtenfahrzeug als Hintermann zum Aufbau des nötigen Sicherheitsabstandes in der Lage gewesen ist.
a) Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine - ohnehin nicht erreichbare- absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit (vgl. RGZ 15, 338 [339]; BGH NJW 1998, 2969 [2971]; BAGE 85, 140; Senat NZV 2006, 261, st. Rspr., vgl. etwa NJW 2011, 396 [397] und NJW-RR 2014, 601; KG NJW-RR 2010, 1113) und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen intersubjektiv vermittelten (vgl. § 286 I 2 ZPO), für das praktische Leben brauchbaren Grad von (persönlicher) Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] - Anastasia, st. Rspr., vgl. etwa NJW 2014, 71 [72] und VersR 2014, 632 f.; BAGE 85, 140; OLG Frankfurt a. M. zfs 2008, 264 [265]; Senat VersR 2004, 124; NZV 2006, 261 NJW 2011, 396 [397]; SP 2012, 111), was auch für innere Vorgänge gilt (BGH NJW-RR 2004, 247).
b) Unter Beachtung des vorstehenden Beweismaßstabes wurden die erstinstanzlichen Angaben des Klägers, dass er nach dem streitgegenständlichen Spurwechsel noch eine längere Strecke von geschätzten 50 - 80 m in Geradeausfahrt gefahren sei, so dass das Beklagtenfahrzeug aufgrund dessen einen ausreichenden Sicherheitsabstand habe aufbauen können, bevor er verkehrsbedingt aufgrund des Umschaltens der Ampel habe bremsen müssen (vgl. S. 2 f. der Sitzungsniederschrift vom 06.07.2020, Bl. 34 f. d. LG-A.), durch die übereinstimmenden, nachvollziehbaren und damit glaubhaften Angaben der Zeugen H. und N. widerlegt. Eine erneute Anhörung des Klägers in der zweiten Instanz war nicht möglich, da dieser gemäß einem klägerseits mit Schriftsatz vom 19.01.2022 (Bl. 17 d. OLG-A.) vorgelegten ärztlichen Attestes nichts mehr zur Aufklärung des streitgegenständlichen Unfallgeschehens beitragen kann.
Die Zeugen N. und H. schilderten das Kerngeschehen des streitgegenständlichen Unfallablaufes übereinstimmend, nachvollziehbar und damit glaubhaft dahingehend, dass das Klägerfahrzeug nur wenige Meter und damit knapp vor dem Beklagtenfahrzeug, nachdem es dieses links überholt hatte, nach rechts auf dessen Spur zurückgewechselt und anschließend nur kurz wieder geradeausgerichtet gefahren ist, bevor der Kläger aufgrund der auf gelb umschaltenden Ampel eine starke Bremsung des Klägerfahrzeuges bis zum Stillstand eingeleitet hat und das Beklagtenfahrzeug dem Klägerfahrzeug daraufhin hi...