Leitsatz (amtlich)

1. Durch Abgabe einer ernsthaften, inhaltlich ausreichenden, wenn auch bedingten Unterlassungsverpflichtungserklärung kann im Einzelfall die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch im Verfügungsverfahren wegfallen, auch wenn die Erklärung von dem Betroffenen nicht angenommen worden ist.

2. Wird in einem solchen Fall die Hauptsache (hier: Verfügungsverfahren) nicht von dem Betroffenen für erledigt erklärt, dann ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aus sachlichen Gründen (Fehlen der Wiederholungsgefahr) abzuweisen.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; ZPO § 935 ff.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 03.03.2003; Aktenzeichen 9 O 3969/03)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten werden die Einstweilige Verfügung des LG München I, 9. Zivilkammer, vom 3.3.2003 und das Endurteil desselben Gerichts vom 23.4.2003 aufgehoben.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

III. Die Verfügungsklägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob ein von der Verfügungsbeklagten verlegter Roman verbreitet werden darf. Die Verfügungsklägerin zu 1) ist Trägerin des Bundesfilmpreises 1989 (für „Darstellerische Nachwuchsleistung” in einem Fernsehfilm aus dem Jahr 1987), die Klägerin zu 2) hat im Jahr 2000 den alternativen Nobelpreis (The Right Livelihood Award) für ihren Einsatz gegen Goldabbau in einer Bürgergemeinschaft in der Türkei erhalten. Der Autor war vor Jahren mit der Verfügungsklägerin zu 1) eng befreundet. Er wird in Zeitungsberichten etwa als der „begabteste Polemiker Deutschlands” bezeichnet. Der Roman „Esra” wird in Kritiken als Schlüsselroman qualifiziert, zum Teil aber auch als „Schlüssellochroman”, als „Schlüssel ohne Roman” oder als Skandalroman. Er handelt (wie es in FOCUS formuliert ist) „von der hoffnungslos verzweifelten Liebe eines jungen Schriftstellers zu einer in München lebenden Türkin”. In dem der Verfügungsklägerin zu 1) vom Autor übermittelten Exemplar ist von ihm in einer Widmung geschrieben:

„Liebe Ayse,

dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind – und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe.

Maxim

Berlin, den 22.2.03.”

In einem gedruckten Nachwort heißt es im Buch:

„Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt.”

Das LG hat der Verfügungsbeklagten mit Einstweiliger Verfügung vom 3.3.2003 verboten, das Buch zu veröffentlichen und veröffentlichen zu lassen, auszuliefern und ausliefern zu lassen, zu vertreiben und vertreiben zu lassen und hierfür zu werben und werben zu lassen. Mit dem angefochtenen Urt. v. 23.4.2003 hat es diese Einstweilige Verfügung bestätigt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Verfügungsbeklagten.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des LG im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO). Die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge ergeben sich aus dem Protokoll vom 9.7.2003 (Bl. 164/167 d.A.).

 

Entscheidungsgründe

Der Senat sieht die Wiederholungsgefahr durch die abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung als bis zur Entscheidung über die Hauptsacheklage beseitigt an. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Erklärung der Verfügungsbeklagten nur um ein „Minus” ggü. dem Verfügungsantrag handelte. Deshalb ist der Verfügungsantrag als unbegründet (vgl. dazu etwa Pastor/Ahrens/Schulte, Der Wettbewerbsprozess, 4. Aufl., Kap. 15 Rz. 2: nicht etwa entfällt das Rechtsschutzbedürfnis; Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rz. 30.6; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 8 Rz. 36) abzuweisen.

In der für ein Berufungsurteil gesetzlich vorgeschriebenen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und auch zulässigen (BVerfG NJW 1996, 2785; NJW 1999, 1387 [1388]) Kürze – die sich auch daraus erklärt, dass die Sache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat umfassend diskutiert wurde (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 313 Rz. 27) – ist Folgendes auszuführen:

I.1. Hat bereits ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht stattgefunden, dann besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, d.h. eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Störer den Eingriff wiederholen wird (BGH BGHZ 31, 308 = NJW 1960, 476 – Alte Herren; OLG München v. 10.5.1996 – 21 U 4468/95, OLGReport München 1996, 275 = NJW 1997, 62 [63] – Westdeutsche Konjunkturritter; v. 17.5.2002 – 21 U 5569/01, CR 2003, 141 = AfP 2002, 522 = NJW 2002, 2398 – Online Verlag hat Prozess verloren; Baur in Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, 3. Aufl., Teil E Rz. 149, S. 552; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl., 44. Kap. Rz. 5, S. 379; kritisch Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rz. 30.7 ff., der zu Recht auf in de...

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