Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeldbemessung unter Heranziehung von Schmerzensgeldtabellen
Leitsatz (amtlich)
1. Die in Schmerzensgeldtabellen erfassten "Vergleichsfälle" sind bei der Schmerzensgeldbemessung im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen ohne verbindliche Präjudizien zu berücksichtigen, aus denen keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden können.
2. Als Erledigungsereignis kommen nur Vorgänge nach Eintritt der Rechtshängigkeit in Betracht.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2; StVG § 11 S. 2
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 15.02.2017; Aktenzeichen 17 O 7081/14) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers vom 21.03.2017 wird das Endurteil des LG München I vom 15.02.2017 abgeändert und wie folgt neugefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Rahmen ihrer vertraglichen Deckungsverpflichtung für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ...89, dem Kläger aus dem Verkehrsunfallereignis vom 26.02.2014 in München auf der H.-straße auf Höhe der Hausnummer 5 sämtliche zukünftig entstehenden materiellen Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, und künftige immaterielle Schäden für den Fall objektiv nicht vorhersehbarer Zukunftsschäden im Sinne der BGH-Rechtsprechung zu ersetzen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 334,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2014 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Verfahrens (erster Instanz) tragen der Kläger 77% und die Beklagte 23%.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 77% und die Beklagte 23%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO sowie §§ 540 II, 313 b I 1 ZPO).
B. I. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
1.) Aufgrund des entsprechenden Teilanerkenntnisses der Beklagten war das Ersturteil zunächst hinsichtlich des o.g. Feststellungstenors abzuändern. Dabei entspricht der Wortlaut des abgeänderten Tenors dem Anerkenntnis (vgl. S. 1 des Schriftsatzes der Beklagtenvertreter vom 16.10.2017 = Bl. 187 d.A.) und dem Antrag des Klägers gem. S. 2 des Schriftsatzes vom 10.11.2017 (= Bl. 194 d.A.), ein entsprechendes Anerkenntnisurteil zu erlassen.
2.) Weiterhin war das Ersturteil bzgl. der Zinsen abzuändern. Der Kläger hat gegen die Beklagte nämlich nicht nur Anspruch auf Zinsen aus 334,75 EUR i.H.v. 5 Prozentpunkten aus dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.06.2016, sondern - gem. § 286 I 1 BGB i.V.m. § 115 I VVG - bereits seit dem 03.04.2014. Denn die Beklagte hat den klägerischen Vortrag, dass sie vom Klägervertreter mit Schreiben vom 19.03.2014 unter Fristsetzung bis zum 02.04.2014 zur Zahlung des Schmerzensgeldvorschusses aufgefordert worden ist, nicht bestritten. Hätte sie geltend machen wollen, dass sie dieses Schreiben entweder nicht oder erst so spät erhalten hatte, dass die Frist nicht mehr angemessen lang gewesen wäre, hätte sie dies zumindest darlegen müssen.
3.) Im Übrigen erwies sich die Berufung jedoch als unbegründet und war die Klage im Übrigen abzuweisen:
a) Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung hinsichtlich gegenwärtiger Schäden. Denn hinsichtlich der vom Kläger zur Begründung seines Feststellungantrages dargelegten gegenwärtigen immateriellen und materiellen Schäden, nämlich Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden, hat der Kläger gegen die Beklagte aus den zutreffenden Gründen des Ersturteils keine Ansprüche. Dass dem Kläger gegenwärtig noch weitere Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall zustehen sollten, hat er bereits nicht dargelegt.
aa) Entgegen seiner Ansicht hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf ein höheres als das bereits gezahlte Schmerzensgeld i.H.v. 3.500,00 EUR.
(1.) Der Kläger hat schon keinen Fehler des Ersturteils in Form der nicht vollständigen oder nicht richtigen Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände oder der greifbar fehlerhaften Bewertung des Schmerzensgelds aufgezeigt. Der Senat ist im Übrigen aufgrund eigenständiger Überprüfung (vgl. dazu BGH NJW 2006, 1589 ff.; Senat, Urt. v. 30.7.2010 - 10 U 2930/10 [juris]) der Ansicht, dass das zugesprochene Schmerzensgeld angemessen ist. Soweit der Kläger sein Erhöhungsverlangen mit dem Hinweis auf die Entscheidung des LG München I vom 15.11.2001, Az.: 19 O 21405/98, begründet (vgl. S. 10 der Berufungsbegründung = Bl. 165 d.A.), ist dies nicht zielführend. §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG sprechen von "billiger Entschädigung in Geld". Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrech...