Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung einer Heilpraktikerin wegen unzureichender Warnung vor dem Abbruch einer schulmedizinisch indizierten Strahlentherapie
Leitsatz (amtlich)
1. §§ 630a ff. BGB gelten auch für Heilpraktiker. (Rn. 31)
2. Die deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB steht unabhängig von einer - im Streitfall möglichen - Beendigung des Behandlungsvertrages und mit im Übrigen gleichen Voraussetzungen neben der Haftung gemäß §§ 630a ff. BGB. (Rn. 40)
3. Widerspricht im Falle einer todbringenden Krankheit (hier: Zervixkarzinom) ein Heilpraktiker seinem Patienten bei dessen Entscheidung zum Abbruch der schulmedizinisch indizierten Therapie (hier: Strahlentherapie) zugunsten einer nicht evidenzbasierten Maßnahme der Alternativmedizin (hier: Horvi-Schlangengift-Therapie) nicht mit Nachdruck, so kann hierin auch dann ein Behandlungsfehler des Heilpraktikers in Gestalt einer Fehlers der therapeutischen Aufklärung liegen, wenn die behandelnden Ärzte den Patienten über die Wahrscheinlichkeit des Todes im Falle des Abbruchs der schulmedizinischen Behandlung aufgeklärt haben. (Rn. 41 - 62)
4. Die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers gemäß § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB greift grundsätzlich auch in Fällen einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung (vgl. BGH BeckRS 2004, 12407). (Rn. 68)
5. Die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers nach § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB kann entfallen, wenn der Patient durch eigenes sorgloses Verhalten im gleichen Maße wie der Behandler eine erfolgreiche Behandlung erschwert (vgl. BGH BeckRS 2004, 12407). Es kann in einem solchen Fall allerdings auch in Betracht kommen, (nur) § 254 BGB anzuwenden. (Rn. 69 - 72)
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2, §§ 254, 630a ff., § 630h Abs. 5 S. 1, § 823 Abs. 1, § 844 Abs. 2, §§ 846, 1922 Abs. 1; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Passau (Urteil vom 26.04.2018; Aktenzeichen 1 O 781/16) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Passau vom 26.04.2018, Aktenzeichen 1 O 781/16, abgeändert:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.12.2016 auf das zugunsten des Klägers als Alleinerben nach S. H. eingerichtete Sparkonto bei der Sparkasse P., ... 33, zu bezahlen (Schmerzensgeld).
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 7.104,51 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.12.2016 zu bezahlen (Unterhaltsschaden).
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere bis 09.06.2020 entstandene materielle Schäden zu 2/3 zu ersetzen, die ursächlich darauf zurückzuführen sind, dass die Mutter des Klägers, S. H., infolge eines Behandlungsfehlers der Beklagten am 14.10.2015 gestorben ist, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte kraft Gesetzes übergegangen sind.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 fachen RVG-Gebühr aus einem Wert von 37.180,56 EUR zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.12.2016 zu bezahlen.
I. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der am ...2015 geborene Kläger macht gegen die Beklagte, die seine am 14.10.2015 an einer Tumorerkrankung (Zervixkarzinom nach vorangegangener HPV-Infektion) verstorbene Mutter S. H. ab dem 17.04.2014 neben ärztlichen Behandlern als Heilpraktikerin mit "alternativen" Heilmethoden behandelt hat, wegen behaupteter Behandlungsfehler einen Schmerzensgeldanspruch aus von seiner Mutter ererbtem Recht sowie einen Anspruch auf Barunterhaltsschaden aus eigenem Recht geltend; darüber hinaus begehrt er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere künftige materielle und immaterielle Schäden.
1. Der Kläger behauptet, dass für die Tumorerkrankung seiner Mutter bei Durchführung und Weiterführung der notwendigen und von ärztlicher Seite angeratenen schulmedizinischen Behandlungen, insbesondere ohne den am 09.06.2015 erfolgten Abbruch der zunächst (nach der Geburt des Klägers) am 13.05.2015 begonnenen Strahlentherapie, gute Heilungschancen bestanden hätten. Die Beklagte habe seiner psychisch von ihr abhängigen Mutter wiederholt und in verschiedener Hinsicht von schulmedizinischen Therapieempfehlungen abgeraten und ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Körpers geweckt; infolge ihrer Einwirkung ...