Leitsatz (amtlich)
1. Das Vorrätighalten von Zigarettenpackungen in einem Warenausgabeautomaten eines Supermarktes, aus dem der Kunde die Zigaretten seiner Wahl dadurch bezieht, dass er die entsprechende Auswahltaste nach zuvor erfolgter Freigabe durch das Kassenpersonal betätigt, woraufhin die angeforderten Zigarettenpackungen aus der Ausgabevorrichtung auf das Kassenband befördert und erst danach vom Kunden bezahlt werden, ist nicht als Anbieten iSv § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV anzusehen, da es sich dabei lediglich um eine bloße von der richtlinienkonform auszulegenden Vorschrift nicht erfasste Verkaufsmodalität handelt.
2. Es kann dahinstehen, ob die richtlinienkonforme Auslegung von § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV generell auch diejenigen Fälle erfassen soll, in denen nicht nur die gesundheitsbezogenen Warnhinweise verdeckt sind, sondern die gesamte Packung als solche bis zum Abschluss des Kaufvertrags für den Verbraucher nicht sichtbar ist. Denn jedenfalls genügt ein Verkäufer dann den Anforderungen von § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV, wenn der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags den Kaufgegenstand und damit die auf diesem angebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise zur Kenntnis nehmen kann.
3. Zur Frage, ob gesundheitsbezogene Warnhinweise auf Zigarettenpackungen als wesentliche Informationen iSv § 5a Abs. 2 UWG anzusehen sind.
4. Zur Frage der Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 TabakerzV als Vorschrift zur Umsetzung von Art. 8 Abs. 8 Tabakproduktrichtlinie bzw. zur Konkretisierung nationaler gesetzlicher Werbeverbote im nicht harmonisierten Bereich.
Normenkette
TabakerzV § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2; UWG § 5a Abs. 2
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 17 HK O 17753/17) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 05.07.2018, Az. 17 HK O 17753/17, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 150.000,- festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger macht gegen den Beklagten wegen des Anbietens von Zigaretten unter Zuhilfenahme von Warenausgabeautomaten behauptete lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend.
Der Kläger ist ein im Vereinsregister des AG München eingetragener Verein, dessen Zweck es unter anderem ist, die "Verbraucherberatung und den Verbraucherschutz zu fördern, indem Verbrauchern Aufklärung und Beratung zu Waren und Dienstleistungen angeboten wird, die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen in Verbindung stehen oder bei denen ein solcher Konsum in einer Form betrieben oder propagiert wird, die mit den berechtigten Interessen der Verbraucher und/oder der öffentlichen Gesundheit im Widerspruch steht." Er ist als qualifizierte Einrichtung in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.
Der Beklagte ist eingetragener Kaufmann und betreibt in München zwei Supermärkte.
In den Verkaufsräumen des von ihm betriebenen Supermarktes in der X-Straße in München bietet der Beklagte diverse Tabakerzeugnisse an, wobei die angebotenen Zigarettenpackungen in einem Warenausgabeautomaten bereitgehalten werden, der jedenfalls vor den vom Beklagten zwischenzeitlich vorgenommen Veränderungen am äußeren Erscheinungsbild wie nachfolgend eingelichtet (Anlage A) gestaltet war:
((Abbildung))
Diejenigen Verbraucher, die in dem fraglichen Supermarkt des Beklagten Zigaretten erwerben möchten, treffen ihre Wahl nach der zu erwerbenden Zigarettenmarke dadurch, dass sie die entsprechende, mit der jeweiligen Marke versehene Auswahltaste betätigen (nachdem sie zuvor das Kassenpersonal um eine entsprechende Freigabe der Auswahltasten ersucht haben), woraufhin die angeforderten Zigarettenpackungen aus der Ausgabevorrichtung auf das Kassenband befördert werden. Die Bezahlung der Ware erfolgt sodann an der Kasse selbst, sofern der Kunde an seinem Plan, die ausgewählten Zigaretten zu erwerben, festhält.
Die Funktionsweise des Ausgabeautomaten dient daher nach dem Verständnis beider Parteien jedenfalls auch der Diebstahlsicherung und dem Jugendschutz.
Der Kläger ist der Auffassung, durch die streitgegenständliche Art des Anbietens von Zigaretten verhalte sich der Beklagte wettbewerbswidrig. Das beanstandete Anbieten von Zigarettenpackungen in einer geschlossenen Einrichtung mit Sichtschutz führe dazu, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen vollständ...