Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeld, Schmerzen, Schadensfall, Zeitpunkt, Verfahren, Berufung, Bemessung, Unfallzeitpunkt, Beurteilungszeitpunkt, Anspruch, Vorverfahren, Zinsen, Risiko, Sprunggelenk, weitergehende Berufung

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 11.02.2021; Aktenzeichen 19 O 20273/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 19.02.2021 wird das Endurteil des LG München I vom 11.02.2021 (Az. 19 O 20273/15) in Nr. 1. und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 45.000 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.11.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 42% und die Beklagte 58%.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B. Der Senat hat durch Endurteil zu entscheiden, nachdem die Beklagte einen im Termin vom 08.12.2021 geschlossenen, für die Beklagte widerruflichen Vergleich fristgerecht widerrufen hat. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichts, dass für die von der Klägerin erlittenen, zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München im Verfahren 10 U 2177/92 nicht vorhersehbaren weiteren Verletzungsfolgen ein Schmerzensgeld von mehr als 45.000 EUR nebst Zinsen gerechtfertigt ist.

1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass ein weiteres Schmerzensgeld nur für solche Verletzungen und Verletzungsfolgen zugesprochen werden kann, die zum Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.05.1993 objektiv, aus der Sicht eines medizinischen Sachverständigen, nicht vorhersehbar waren. Dies sind zusammengefasst die zeitlich begrenzten zusätzlichen Schmerzen durch die infizierte Hüfttotalendoprothese und die zusätzlichen Beeinträchtigungen durch deren Ausbau und nach zahlreichen Operationen neuerlichen Ersatz sowie die durch diese nicht vorhersehbare Spätfolge entstandene rezidivierende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung.

2. Das Risiko für die Entstehung einer unfallbedingten Sprunggelenksarthrose bewertete der Sachverständige zum maßgeblichen Zeitpunkt bei seiner Anhörung vor dem Landgericht mit 10% bis 20%, weshalb das Landgericht diese Spätfolge als nach objektiven Gesichtspunkten nicht vorhersehbar erachtete und die damit verbundenen Folgen und Beschwerden bei der Bemessung des weiteren Schmerzensgeldes berücksichtigte.

a) Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH in NJW-RR 2006, 712 (vgl. auch Senat, Urt. v. 15.03.2013, Az. 10 U 4171/12 [Juris]) gelten für ein weiteres Schmerzensgeldverlangen nach einem ein Schmerzensgeld zusprechendem Urteil folgende Grundsätze (vgl. auch Senat, Urteil v. 24.02.2017, Az. 10 U 3261/16 [Juris]) :

"Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat, Urteile vom 11. Juni 1963 - VI ZR 135/62 - VersR 1963, 1048, 1049; vom 8. Juli 1980 - VI ZR 72/79 - VersR 1980, 975 f.; vom 24. Mai 1988 - VI ZR 326/87 - VersR 1988, 929 f.; vom 7. Februar 1995 - VI ZR 201/94 - VersR 1995, 471, 472; vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876; vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - VersR 2004, 1334, 1335; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1975 - III ZR 41/74 - VersR 1976, 440, 441; vgl. auch Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 253 Rdn. 50; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rdn. 161; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rdn. 13; Diederichsen, VersR 2005, 433, 439; von Gerlach, VersR 2000, 525, 530; Heß, ZfS 2001, 532, 534; kritisch MünchKommZPO/Gottwald, 2. Aufl., § 322 Rdn. 126). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (Senat, Urteile vom 6. Dezember 1960 - VI ZR 73/60 - VersR 1961, 164 f.; vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99 - aaO; vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - aaO; Diederichsen, aaO, 439 f.; von Gerlach, aaO). Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, m...

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