Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung des Schadensersatzanspruchs wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Die für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist gegeben, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Dabei ist es weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. (Rn. 14)
2. Dem Käufer eines mit einem EA 189 Motor ausgestattetem Fahrzeug war es in der Regel spätestens im Jahr 2018 zumutbar Klage zu erheben. (Rn. 22)
Normenkette
BGB §§ 195, 199, 823 Abs. 2, § 826
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 23.09.2022; Aktenzeichen 9 O 34/22) |
Tenor
1 Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23. September 2022, Az. 9 O 34/22, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3 Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Kläger macht Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Erwerb eines vom "Dieselskandal" betroffenen Pkw geltend.
Der Kläger hat am 29. Juni 2015 bei einer am hiesigen Rechtsstreit nicht beteiligten Firma einen fabrikneuen Pkw VW Touareg zum Kaufpreis von EUR 67.029,00 erworben. Das Fahrzeug wurde von der VW AG hergestellt und ist im Hinblick auf den dort eingebauten, von der Beklagten hergestellten Motor von einem verbindlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (nachfolgend: KBA) betroffen. Das deshalb zwingend vorzunehmende Update wurde am 16. Februar 2018 aufgespielt. Der Kläger hat die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 23. November 2021 (K 2) unter Fristsetzung zum 7. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aufgefordert und im Januar 2022 eine Klageschrift bei Gericht eingereicht.
Der Kläger hat vor dem Landgericht eine Haftung der Beklagten gemäß S. 826 BGB bzw. S. 823 Abs. 2 BGB iVm S. 263 StGB behauptet wegen des Vorhandenseins illegaler Abschalteinrichtungen.
Die Beklagte hat insbesondere die Verjährung der klägerischen Ansprüche eingewandt. Bereits 2017 hätten die Medien ausführlich über Beanstandungen des KBA an den - hier betroffenen - V-TDl-Motoren verschiedener Hersteller berichtet, die Beklagte habe ebenso wie andere Fahrzeughersteller und das KBA mehrfach Pressemitteilungen zu den erlassenen Rückrufen veröffentlicht. Die Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps sei ab Dezember 2017 in den Medien omnipräsent gewesen und habe zudem auf der Internetseite der VW AG abgefragt werden können. Vorliegend sei der Verjährungsbeginn spätestens für das Jahr 2018 anzunehmen, denn zu dieser Zeit sei gegen die Beklagte öffentlichkeitswirksam ein Bußgeld verhängt und das Update beim klägerischen Pkw aufgespielt worden. Dies alles habe dem Kläger schon deshalb nicht verborgen geblieben sein können, weil zu diesem Zeitpunkt die "Dieselthematik" aufgrund der seit mehreren Jahren andauernden medialen Berichterstattung hinsichtlich der EA 189 Fahrzeuge der Allgemeinheit bekannt war. Der Kläger sei spätestens durch das Kundenanschreiben der Beklagten im März 2018 über die Betroffenheit seines Pkw informiert worden. Hinzu komme, dass der jeweilige Kunde auch bei Durchführung des verpflichtenden Update ausdrücklich um seine Zustimmung hierzu gebeten worden sei. Verjährung sei mithin spätestens mit Ablauf des Jahres 2021 eingetreten.
Die Klagepartei ist den Ausführungen der Beklagten zur behaupten Kenntniserlangung von der Betroffenheit des Pkw erstinstanzlich nicht entgegengetreten.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 23. September 2022 hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 42.141, 14 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des fraglichen Pkw verurteilt sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.877,10. Daneben hat es den Annahmeverzug der Beklagten mit der Entgegennahme des Pkw festgestellt. Hinsichtlich des überschießenden Zahlungsantrags in der Hauptsache und hinsichtlich weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht aus...