Leitsatz (amtlich)
1. Zwischen Pharmaunternehmen, die Mitglieder eines Wettbewerbsverbandes im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. sind, und einem Unternehmen, das online die Vermittlung von Fernbehandlungen und von Medikamentenbezug im Bereich der Männergesundheit bewirbt, kann ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis bestehen, sofern die Vermittlungsleistungen im Hinblick auf die ärztliche Fernbehandlung nicht diagnoseoffen und allgemein auf Diagnostik und Behandlung im Bereich der Männergesundheit gerichtet sind, sondern darauf, nach Auswertung eines Fragebogens in eine Online-Diagnose konkreter Beschwerdebilder sowie die anschließende Verschreibung bestimmter auf der Internetseite sichtbarer und konkret vorgegebener Medikamente bzw. Wirkstoffe wie Sildenafil, Cialis, Viagra, Tadalafil, Levitra oder Spedra einzumünden, so dass die Vermittlung der ärztlichen Fernbehandlung nicht Selbstzweck, sondern aufgrund der Verschreibungspflicht dieser Arzneimittel nach § 48 AMG nur notwendiger Zwischenschritt ist, um die bei lebensnaher Betrachtung vom Kunden von vornherein gewünschte Abgabe der Medikamente mit starkem Lifestyle-Bezug ebenfalls vermitteln zu können.
2. Internationalprivatrechtlich ist beim lauterkeitsrechtlichen Rechtsbruchtatbestand ein mehrstufiges Vorgehen notwendig: Zunächst ist nach der lauterkeitsrechtlichen Kollisionsnorm des Art. 6 Rom II-VO das Wettbewerbsstatut zu ermitteln. Kennt das Wettbewerbsstatut wie im deutschen Recht in § 3a UWG den Rechtsbruchtatbestand, ist in einem zweiten Schritt die internationalprivatrechtliche Anwendbarkeit der verletzten Marktverhaltensnorm nach den für sie einschlägigen Kollisionsnormen der lex fori im Rahmen einer selbständigen Anknüpfung zu untersuchen.
3. Da es sich bei der Marktverhaltensnorm nicht zwingend um eine privatrechtliche Vorschrift handeln muss, können im Rahmen des zweiten Schritts neben dem internationalen Privatrecht auch die Grundsätze des internationalen öffentlichen Rechts maßgeblich sein. Handelt es sich bei der Marktverhaltensnorm wie bei § 9 HWG um eine öffentlich-rechtliche Eingriffsnorm, ist es aufgrund des im öffentlichen Recht geltenden Territorialitätsprinzips dem inländischen Recht erlaubt, die Werbung für Fernbehandlungen zu regeln, die aus dem Ausland heraus im Inland erbracht werden, wenn beispielsweise durch die Werbung im Inland ein hinreichender territorialer Bezug zum Inland gegeben ist. Das inländische Recht regelt dann nicht nur die Frage, ob eine Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 Satz 1 HWG untersagt ist, sondern auch diejenige, ob aufgrund der Erfüllung der allgemein anerkannten fachlichen (inländischen) Standards bei der Fernbehandlung die Werbung dafür im Inland ausnahmsweise nach § 9 Satz 2 HWG zulässig ist.
4. Im Rahmen einer abstrakt generalisierenden Betrachtung kann nicht angenommen werden, dass es nach § 9 Satz 2 HWG den allgemein anerkannten fachlichen (inländischen) Standards entspricht, beim Beschwerdebild der Erektionsstörung eine aller Wahrscheinlichkeit nach in eine Medikamentenverordnung und -rezeptierung mündende Diagnostik und Behandlung ohne persönlichen ärztlichen Kontakt mit der zu behandelnden Person vorzusehen, sofern nach den zulassungsgemäßen Fachinformationen der Medikamente bzw. Wirkstoffe, deren Verordnung im Rahmen der Fernbehandlung von vornherein ins Auge gefasst wird, neben der Anamnese auch eine körperliche Untersuchung vorgesehen ist. Es kommt nicht darauf an, dass leitliniengemäß vor der Diagnostik ein Therapieversuch durchgeführt werden kann, da dies über einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient und eine entsprechende Überwachung des Therapieversuchs nichts aussagt.
Normenkette
AMG § 48; BGB § 630a Abs. 2; HWG § 9 Sätze 1-2; Rom II-VO Art. 6; UWG a.F. §§ 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 2
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 33 O 622/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 05.10.2021, Az. 33 O 622/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer I. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,00 sowie im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe bzw. in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Bewerbung von ärztlichen Fernbehandlungen für Erektionsstörungen, Haarausfall und vorzeitigen Samenerguss durch eine Vermittlerin, die auch den Bezug entsprechender verschreibungspflichtiger Medikamente durch eine niederländische Versandapotheke vermittelt.
Der Kläger ist ein 1962 gegründeter Verein, dem neben dem ..., dem ... und dem ... auch 56 Unternehmen angehören, bei denen es sich überwiegend um Pharmaunternehmen h...