Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatz aus Verkehrsunfall
Normenkette
BGB § 251 Abs. 1, § 254 Abs. 2 S. 1; RVG § 14 Abs. 1 S. 1; VVG § 86; ZPO § 522 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 06.09.2019; Aktenzeichen 6 O 1674/19) |
Tenor
1. Auf die Berufungen des Beklagten vom 28.11.2019 und des Klägers vom 17.12.2019 wird das Endurteil des LG München II vom 06.09.2019 (Az. 6 O 1674/19) in Ziffer I abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.305,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2019 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 481,95 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2019 zu bezahlen.
2. Die Ziffer II des Endurteils des LG München II vom 06.09.2019 (Az. 6 O 1674/19) bleibt aufrechterhalten.
3. Im Übrigen werden die Berufungen des Beklagten und des Klägers zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 25% und der Beklagte 75%.
5. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B. Die statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, somit zulässigen Berufungen der Parteien haben in der Sache jeweils nur teilweise Erfolg.
I. Einwendungen gegen den Tatbestand des Ersturteils Soweit der Beklagte in seiner Berufung von einem anderen Tatbestand als dem des Ersturteils ausgeht oder diesen angreift, ist dies fehlsam, weil der Tatbestand des Ersturteils den für das Berufungsgericht nach § 529 I Nr. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalt bestimmt (BVerfG NJW 2005, 657 [i. Erg.]; BGH NJW-RR 2009, 981; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat in st. Rspr., u. a. r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); OLG Rostock OLGR 2004, 61). Mit der Berufung kann eine Tatbestandsberichtigung grundsätzlich nicht herbeigeführt werden (BGH NJW 1994, 517; BGHZ 182, 76 [unter II 1]; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Wenn der Beklagte die erstgerichtliche Feststellung nicht hätte hinnehmen wollen, hätte er ein - fristgebundenes - Tatbestandsberichtigungsverfahren nach § 320 ZPO durchführen müssen (Senat, a.a.O.).
II. Nutzungsausfallschaden vom 17.06. bis 24.09.2018 Das Landgericht hat dem Grunde nach zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit vom 17.06. bis 24.09.2018 (100 Tage à 119,00 EUR) bejaht. Entgegen den Ausführungen des Erstgerichts beträgt der Nutzungsausfallschaden aber 11.305,00 EUR (11.900 EUR abzüglich eines vorprozessual bezahlten Betrages von 595,00 EUR) und nicht lediglich 10.325,56 EUR (unter Abzug der Mietwagenkosten für den Zeitraum vom 01.06. bis 16.06.2018 in Höhe von 979,44 EUR).
1. Nutzungswille
Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entschädigung für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich bejaht (z.B. BGH in MDR 2018, 470; BGH Urteil v. 23.11.2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154 = MDR 2005, 268; v. 10.6.2008 - VI ZR 248/07 Rz. 6, 8, MDR 2008, 969 = NJW-RR 2008, 1198). Anspruchsgrundlage ist insoweit § 251 Abs. 1 BGB.
Für den Nutzungsausfallschaden gelten die schadensrechtlichen Grundsätze der subjektbezogenen Betrachtung des Schadens sowie des Bereicherungsverbots (BGH, NJW-RR 2008, 1198 mit Bezugnahme auf BGHZ 45, 212 [219f.] = NJW 1966, 1260; BGHZ 162, 161 [165] = NJW 2005, 1108 m.w. Nachw. und NJW 2008, 915 = DAR 2008, 139). Dem Geschädigten gebührt die Entschädigung daher nur dann, wenn er sein Kraftfahrzeug während der Reparaturzeit benutzen wollte und hierzu in der Lage war (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 1198).
In der Regel spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW diesen während eines unfallbedingten Ausfalls benutzt hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Januar 2007 - I-1 U 151/06; Urteil vom 1. Oktober 2001, Az.: 1 U 206/00 sowie Urteil vom 29. Oktober 2001, Az.: 1 U 211/00; so auch OLG Celle VersR 1973, 717; OLG Frankfurt DAR 1984, 318; OLG Köln VRS 96, 325).
Der streitgegenständliche Unfall, der zur Verkehrsuntauglichkeit des Kraftfahrzeugs des Klägers geführt hat, ereignete sich vorliegend am 01.06.2018. Wie bereits in der Verfügung vom 03.03.2020 ausgeführt, verkennt der Senat keineswegs, dass nach Teilen der Rechtsprechung ein Nutzungswille fehlt, wenn der Geschädigte nach einem Unfall über längere Zeit keine Reparatur durchführen lässt bzw. kein Ersatzfahrzeug angeschafft hat (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Dezember 2012 - 4 U 164/12 - ein Jahr neun Monate, mit Verweis auf Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 249 Rz. 42 m.w.N.). Zumindest begründet der lange Zeitraum eine von dem Geschädigten zu entkräftende tatsächliche Vermutu...