Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 147 Abs. 2 AktG und zu dessen Befugnissen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Hauptversammlungsbeschluss, mit dem nach § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen ein besonderer Vertreter bestellt wird, muss die anspruchsbegründenden Sachverhalte hinreichend konkret bezeichnen. Der besondere Vertreter ist grundsätzlich verpflichtet, die aus diesen Sachverhalten resultierenden Ersatzansprüche geltend zu machen; dies schließt aber nicht aus, dass die Hauptversammlung ihn auch mit der Prüfung beauftragt, gegen welche von mehreren möglichen Anspruchsgegnern eine Rechtsverfolgung Erfolg verspricht.
2. Grundsätzlich ist es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Hauptversammlung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen verschiedene wegen desselben Sachverhalts in Betracht kommende Anspruchsgegner in einem Abstimmungsvorgang entscheidet.
3. Der besondere Vertreter kann auch zur Geltendmachung konzernrechtlicher Ansprüche nach §§ 317, 318 AktG bestellt werden. Unwirksam ist hingegen die Bestellung zur Durchsetzung nicht näher bezeichneter Ansprüche gegen die mit einem Großaktionär verbundenen Unternehmen. In entsprechender Anwendung des § 139 BGB kann der Bestellungsbeschluss aber im Übrigen wirksam sein.
4. Der besondere Vertreter hat Auskunfts- und Einsichtsrechte. Diese Rechte sind jedoch unmittelbar an die Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche gebunden und damit, was die Aufklärung von Sachverhalten anbelangt, enger als die Prüfungsbefugnisse eines Sonderprüfers.
5. Die Auskunfts- und Einsichtsrechte stehen dem besonderen Vertreter ggü. der Gesellschaft zu. Der besondere Vertreter hat hingegen weder einen Anspruch auf ungehinderten Zugang zu Räumlichkeiten der Gesellschaft noch Direktionsbefugnisse ggü. der Belegschaft des Unternehmens, mit deren Hilfe er sich die benötigten Informationen unmittelbar beschaffen könnte.
6. Einsichts- und Auskunftsrechte vermag der besondere Vertreter in gewissem Umfang auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 06.09.2007; Aktenzeichen 5 HKO 12570/07) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten zu 2) wird das Urteil des LG München I vom 6.9.2007 wie folgt abgeändert:
Der Verfügungsbeklagten zu 2) wird im Wege der einstweiligen Verfügung auferlegt, dem Verfügungskläger und/oder von diesem beauftragten, zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Dritten zu den nachfolgenden Sachverhaltskomplexen die unten aufgeführten Unterlagen vollständig zugänglich zu machen und die Anfertigung von Kopien der Unterlagen zu ermöglichen:
II. Prüfung der eventuellen Vermögensschäden der Verfügungsbeklagten zu 2) durch die Veräußerung der Anteile an der Bank A. AG (BACA);
III. Prüfung der eventuellen Vermögensschäden der Verfügungsbeklagten zu 2) durch eine nicht adäquate Ermittlung des Verkaufspreises für die Anteile der Verfügungsbeklagten zu 2) an der BACA i.H.v. 109,81 EUR je Aktie angesichts des kurze Zeit später eingeleiteten Squeeze-out-Verfahrens zu einem Preis von 129,40 EUR je Aktie;
IV. Prüfung der eventuellen Vermögensschäden der Verfügungsbeklagten zu 2) durch die Nichtdurchführung eines Auktionsverfahrens bei der Veräußerung der BACA-Beteiligung, welches in der aktuellen M&A-Situation erhebliche Aufschläge auf den erzielten Verkaufspreis versprochen hätte und
V. Prüfung der eventuellen Vermögensschäden der Verfügungsbeklagten zu 2) durch das von der Verfügungsbeklagten zu 2) am 12.6.2005 mit der U. abgeschlossene Business Combination Agreement (BCA), insbesondere im Hinblick auf die der U. durch diesen Vertrag eingeräumten Berechtigungen.
Soweit sie die unter lit. a) bis d) genannten Sachverhalte betreffen, sind dem Kläger folgende Unterlagen zugänglich zu machen:
VI. Vorstandsprotokolle seit 2005 einschließlich Entwürfen und einschließlich der Protokolle eventueller Ausschüsse,
VII. Aufsichtsratsprotokolle einschließlich Entwürfen und einschließlich der Protokolle eventueller Ausschüsse,
VIII. alle Korrespondenz (hier und im Folgenden einschließlich solcher in elektronischer Form, z.B. E-Mails, sowie einschließlich Gesprächsprotokollen und sonstigen Aufzeichnungen über Gespräche) des Vorstands, und der Rechts- und Steuerabteilung der Verfügungsbeklagten zu 2) zu Ziff. 1 und Ziff. 2, auch mit Dritten einschließlich U. oder in deren Auftrag oder sonst in deren Interessen handelnden Dritten, mit Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und sonstigen Beratern einschließlich Investmentbanken,
IX. Abhängigkeitsberichte seit 2005, jeweils einschließlich Prüfungsberichten und Entwürfen hierzu,
X. Liste der Personen, die bei der Abwicklung der Komplexe lit. a) bis d) als Organmitglieder tätig waren,
XI. Gutachten (Rechts-, Bewertungs- sowie sonstige Gutachten) einschließlich Entwürfen und Vorkorrespondenz.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
XII. Im Übrigen...