Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründeter Anspruch über den Rücktritt vom Kaufvertrag bei einem Fahrzeug mit Dieselmotor
Leitsatz (amtlich)
1. Das Inverkehrbringen einer Umschaltlogik im verbauten Motor EA 189, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird und dann veranlasst, dass Abgase beim Durchfahren des Prüfzyklus in den Motor zurückgeführt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen, stellt eine konkludente Täuschung dar.
2. Das Inverkehrbringen eines Motors mit einer - nicht offen gelegten - unzulässigen Abschalteinrichtung stellt eine konkludente Täuschung auch gegenüber solchen Käufern dar, die das Fahrzeug gebraucht von einem Dritten erwerben. Denn es ist davon auszugehen, dass die so ausgerüsteten Fahrzeuge als Neu- und später auch als Gebrauchtwagen unverändert durch Dritte weiterveräußert werden.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und eingegangener Verpflichtung trifft den Geschädigten; auf den Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für den Willensentschluss des Getäuschten kann nicht verzichtet werden. Es genügt, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat.
4. Der Ersatzanspruch richtet sich im Rahmen von § 826 BGB auf das negative Interesse. Wenn der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags zu, das heißt Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten. Die Klagepartei kann daher den von ihr aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen.
Normenkette
BGB §§ 31, 249 Abs. 1, § 826
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 16.08.2018; Aktenzeichen 52 O 2779/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16.08.2018, Az. 52 O 2779/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.991,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.09.2017 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Seat Ibiza mit der Fahrgestellnummer ...2457 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 Euro freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Beklagte 54% und die Klagepartei 46% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.990,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkw, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe "EA 189" eingebaut ist.
Mit Kaufvertrag vom 06.09.2012 erwarb die Klagepartei bei einem Autohändler den im Tenor bezeichneten gebrauchten Pkw zum Preis von 10.990 Euro. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt des Kaufs betrug 17.808 km.
Für den Fahrzeugtyp wurde die EG-Typengenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Steuerungssoftware des in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors EA 189 erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird. In diesem Fall veranlasst die Software, dass Abgase beim Durchfahren des Prüfzyklus in den Motor zurückgeführt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen. Durch die Aktivierung dieses Modus (sog. Modus 1) werden bei der standardisierten Kontrolle auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte nach Euro 5 eingehalten. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet die Software in Modus 0, bei dem eine deutlich geringere Abgasrückführung erfolgt und in der Folge der Stickoxidausstoß wesentlich höher ist, so dass die Grenzwerte nach Euro 5 nicht mehr eingehalten werden.
Nach Bekanntwerden dieser sog. Umschaltlogik ordnete das Kraftfahrbundesamt als nachträgliche Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung die technische Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware an. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das vom KBA im Sommer 2016 freigegeben wurde. Dieses wurde auch beim Fahrzeug der Klagepartei aufgespielt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tat...