Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1; StVO § 3 Abs. 1 S. 2; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 30.01.2020; Aktenzeichen 19 O 9964/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 25.02.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 30.01.2020 (Az. 19 O 9964/18) in Nr. 1. und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I. Das Landgericht hat zu Unrecht eine Mithaftung der Beklagten aufgrund Betriebsgefahr angenommen und einen Anspruch der Klägerin auf Schadenersatz in Höhe von 9.760,55 EUR bejaht.
1. Dem Erstgericht ist kein Fehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen.
Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil weder konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden noch sonst ersichtlich sind.
Somit steht aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen des Landgerichts im Hinblick auf die durchgeführte Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund des mündlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B., fest, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der streitgegenständlichen Unfallstelle auf 60 km/h begrenzt war sowie dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges mit einem schwer beladenen Sattelschlepper auf einer 6 m breiten Straße bei einem unübersichtlichen und kurvenreichen Straßenverlauf mit einer für die vorliegenden Straßenverkehrsverhältnisse weit überhöhten Geschwindigkeit von über 80 km/h gefahren ist (vgl. S. 7 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2019, Bl. 35 d.A.). Weiter steht aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen fest, dass sich das Traktorengespann der Beklagtenseite bis zu dessen Notbremsung in seiner Fahrbahnhälfte befunden hatte (vgl. S. 8 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2019, Bl. 36 d.A.).
2. Das Erstgericht hat zutreffend einen schuldhaften Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges gegen § 3 StVO aufgrund der massiv überhöhten Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeuges angenommen und einen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das Rechtsfahrgebot verneint.
Angesichts der Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeuges war ein gefahrloses Passieren des entgegenkommenden Traktorgespanns bei einem allenfalls theoretischen Restabstand von 50 cm nicht möglich. Entsprechend dieser Ausgangslage durfte der Beklagte zu 1) mit einer Vollbremsung auf den schweren Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges reagieren, wie der Sachverständige Prof. Dr. B. bereits festgestellt hat. Selbst wenn die Abwehrreaktion des Beklagten zu 1) hier objektiv zu einem Querstellen des Traktorgespanns geführt hat, rechtfertigt dies nicht, wie auch das Erstgericht in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils zutreffend dargelegt hat, dem Beklagten zu 1) einen Verschuldensvorwurf zu machen.
Nach ständiger Rechtsprechung begründet das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert (RGZ 92, 38; BGH LM Nr. 2 zu § 286 [A] ZPO; VRS 5 [1952] 87; 34 [1967] 434 [435]; 35 [1968] 177; VersR 1953, 337; 1958, 165; 1970, 818; 1971, 909 [910]; 1976, 734; 1982, 443; 2009, 234 [unter II 2 a]; OLG Celle VersR 1973, 716 [717]; DV 2015, 36 [37 unter 2 c cc]; KG VersR 1978, 744; 1995, 38; OLG Karlsruhe VersR 1987, 692; 2015, 993 [995] OLG Koblenz, Urt. v. 27.10.2003 - 12 U 714/02; OLG Naumburg VersR 2014, 212; OLG Düsseldorf NZV 2006, 415 [416]; NZV 2007, 614; Senat, Beschluss vom 11.08.2006 - 10 U 2990/06 und v. 22.08.2007 - 10 U 3101/07; Urt. v. 18.01.2008 - 10 U 4156/07 [juris = NJW-Spezial 2008, 201 - red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 03.07.2009 - 10 U 1711/09 [n. v.]; zuletzt v. 12.06.2015 - 10 U 3673/14 LG Ravensburg SP 1995, 227; zu den psychologischen und logischen Problemen bei solchen Fehlreaktionen und ihrer Bewertung siehe Wielke, Verkehrsunfall: Zeugenaussagen problematisch, aber unverzichtbar!, in Rant (Hrsg.), Sachverständige in Österreich - Festschrift 100 Jahre Hauptverband der Gerichtssachverständigen, Wien 2012, S. 445 [460 f. unter 6.2 und 6.3]).). Es kommt in solchen Fällen bei Kraftfahrern dann nur eine Haftung aus Betriebsgefahr...