Leitsatz (amtlich)
Sind Inhalt und Reichweite einer Vorschrift, hier des § 215 VVG, weitgehend ungeklärt und bezieht hierzu ein Gericht nach Anhörung der Parteien vertretbare Meinungen, die sodann Grundlage eines Verweisungsbeschlusses werden, so entfaltet dieser Bindungswirkung.
Verfahrensgang
LG Stendal (Aktenzeichen 23 O 15/14) |
LG Braunschweig (Aktenzeichen 7 O 651/14) |
Tenor
Zuständig ist das LG Braunschweig.
Gründe
I. Die Klägerin verfolgt als Alleinerbin gegen die Beklagte Ansprüche ihres verstorbenen Ehemannes aus einem Kreditschutzbrief (KSB), erworben zur Absicherung der Darlehensverbindlichkeit eines finanzierten Fahrzeugkaufs, insbesondere im Todesfall. Unter Hinweis auf § 215 WG hat sie ihre Klage beim LG Stendal erhoben. Die Beklagte hat die örtliche Zuständigkeit des angegangenen Gerichts gerügt, da der Ehemann der Klägerin kein Versicherungsnehmer i.S.v. § 215 WG sei. Es bestünde ein Gruppenversicherungsvertrag zwischen der Beklagten und der ... Bank GmbH.
Das LG räumte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ein. Diese hielt an ihrer Auffassung zur Zuständigkeit des LG Stendal fest, beantragte aber gleichwohl hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Braunschweig. Dem trat die Beklagte entgegen und meinte, das LG Braunschweig sei nicht zuständig.
Mit Beschluss vom 14.3.2014 hat sich das LG Stendal für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Braunschweig verwiesen. Das in dem Beschluss bezeichnete Gericht hält sich ebenfalls für unzuständig. Es hat den Rechtsstreit mit Entscheidung vom 26.3.2014 dem LG Stendal zurückgegeben, das die Sache dem Senat zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit vorlegt.
II. Nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2; 37 Abs. 1 ZPO ist das LG Braunschweig als zuständiges Gericht zu bestimmen.
Die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte haben sich durch unanfechtbare Beschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO; der unzulässige Zurückverweisungsbeschluss genügt) für unzuständig erklärt, obwohl das LG Braunschweig zuständig ist. Hierfür kann es offen bleiben, ob das LG Stendal § 215 Abs. 1 Satz 1 WG richtig angewendet hat. Sein bindender Verweisungsbeschluss (vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) hat zur Zuständigkeit des LG Braunschweig geführt. Im Interesse einer raschen Klärung der Zuständigkeitsfrage entfällt die Bindung des Verweisungsbeschlusses nur ganz ausnahmsweise, wenn der Verweisung jede gesetzliche Grundlage fehlt, sie willkürlich oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erfolgt ist (BGH NJW 1988, 1794,1795; NJW-RR 1993, 1091). All dies haftet der Entscheidung des LG Stendal nicht an.
Inhalt und Reichweite des § 215 WG sind weitgehend ungeklärt. Es spricht sogar viel für die Auffassung des verweisenden Gerichts, auch den Erben des Versicherten analog dem Versicherungsnehmer für wahlberechtigt i.S.d. § 215 Abs. 1 Satz 1 WG zu halten (LG Stuttgart NJW-RR 2014, 213, 214 m.w.N.; Prölls/Martin/Klimke, WG, 28. Aufl., § 215 Rz. 18; Römer/Langheid/Rixecker, WG, 4. Aufl., § 215 Rz. 3; Fricke VersR 2009,15; a.A. LG Halle NJW-RR 2011, 114). Dass das LG Stendal daraus nicht die folgerichtige Konsequenz zog und die Klageerhebung am Wohnsitz des Versicherten für zulässig erachtete, lässt seine Entscheidung nicht fern jeder rechtlichen Grundlage erscheinen. Der Wortlaut des § 215 Abs. 1 Satz 1 WG stellt auf den Wohnsitz des Versicherungsnehmers ab, den das LG Stendal zutreffend im Bezirk des LG Braunschweig gelegen sieht. Ob der Versicherungsnehmer eine juristische Person, also mit dem Wohnsitz auch der Sitz gemeint sein kann, ist - entgegen der Auffassung des zurückverweisenden Gerichts - keineswegs geklärt, sondern streitig (gegen die Anwendung auf juristische Personen - Prölls/Martin/Klimke, § 215 Rz. 11; dafür - Römer/Langheid/Rixecker, § 215 Rz. 2; Wagner VersR 2009,1589; Fricke VersR 2009,15,16). Das LG Stendal hat damit eine vertretbare Entscheidung getroffen; bloßer Rechtsirrtum lässt die Bindungswirkung nicht entfallen.
Auch die vom LG Braunschweig angenommene Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Beide Seiten hatten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie haben ihre unterschiedlichen Auffassungen zur örtlichen Zuständigkeit und
zur Verweisung dargelegt. Insoweit wurde auch der Gerichtsstand der Versicherungsnehmerin in Braunschweig diskutiert. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt zwar darüber hinaus auch, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, was das LG Braunschweig wohl meint, wenn es ausführt, es sei kein rechtliches Gehör zu seiner örtlichen Unzuständigkeit in Differenzierung und Reflexion zu § 215 WG gewährt worden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör zeigt sich insoweit aber erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht nicht nachgekommen ist. Gerade unanfechtbare Entscheidungen müssen nicht auf jedes Vorbringen ausdrücklich eingehen. Deshalb sind feststellbare besondere Umstände erforderlich, die...