Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn eine Mehrheit von (einheitlich handelnden) Auftraggebern im Antrag entgegen § 108 Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht ordnungsgemäß bezeichnet ist. Die Grundsätze der notwendigen Streitgenossenschaft sind im Nachprüfungsverfahren entsprechend anzuwenden.
2. Eine Rubrumsänderung von Amts wegen ist ausgeschlossen, wenn eine versehentliche Falschbezeichnung des Antragsgegners nicht vorliegt und einer ergänzenden Auslegung des Nachprüfungsantrags die eindeutige (einschränkende) Bestimmung des Inhaltsadressaten entgegen steht.
3. Eine subjektive Erweiterung des Nachprüfungsantrags entfaltet ihre Wirksamkeit erst mit der Vornahme; sie ist nicht geeignet, nach Versäumung einer als Ausschlussfrist geregelten Antragsfrist (hier § 101b Abs. 2 S. 2 GWB) den Zugang zum vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren wiederzueröffnen.
4. Die Vorschrift des § 101b Abs. 2 S. 2 GWB ist im Hinblick auf Art. 2f Abs. 1 lit. a) 1. Anstrich der Richtlinie 89/665/EWG i.d.F. der Richtlinie 2007/66/EG unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Bekanntmachung der Auftragsvergabe nur dann die Ausschlussfrist von 30 Kalendertagen in Gang setzt, wenn in der Bekanntmachung die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers begründet wird.
Verfahrensgang
Vergabekammer Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 11.05.2012; Aktenzeichen 1 VKA LSA 38/11) |
Nachgehend
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 11.5.2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegner zu 1) bis zu 4) und der Beigeladenen zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Gebührenstufe bis zu ... EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragsgegner, welche jeweils Aufgabenträger für den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr (künftig auch: SPNV) in Brandenburg, Niedersachsen bzw. Sachsen-Anhalt sind, betreiben derzeit drei S-Bahn-Linien und drei Regionalbahnlinien, welche teilweise den räumlichen Zuständigkeitsbereich eines einzelnen von ihnen überschreiten und im Zuständigkeitsbereich eines anderen von ihnen weitergeführt werden. Diese Strecken sind von den Antragsgegnern als das sog. Elektronetz Nord Sachsen-Anhalt zusammengefasst worden. Für dieses Streckennetz besteht derzeit ein sog. "großer" Verkehrsvertrag, der noch weitere Linien umfasst, mit einer Laufzeit bis 2015 hinsichtlich der Linie "RB ..." bzw. bis 2017 hinsichtlich der anderen fünf Linien.
Die Antragsgegner beabsichtigten den Abschluss eines neuen, ausschließlich die Linien des Elektronetzes Nord betreffenden "kleinen" Verkehrsvertrages. Der Vertrag sollte möglichst bereits in den Jahren 2012 bzw. 2013 geschlossen werden, um trotz der Vielzahl der bundesweit erwarteten Ausschreibungen im Schienenpersonennahverkehr und möglicher zeitlicher Verzögerungen eines Vertragsabschlusses einen nahtlosen Übergang der Pflicht zur Leistungserbringung in einen Folgevertrag gewährleisten zu können. Dabei wurde auch eine frühere Ablösung des sog. "großen" Verkehrsvertrages hinsichtlich des Elektronetzes Nord wegen der damit verbundenen nachteiligen Vertragsbedingungen für die Auftraggeberseite in Betracht gezogen. Der Antragsgegner zu 1) begann mit der Vorbereitung der Vergabe im Juli 2009 durch Ankündigung seiner zeitlichen und inhaltlichen Vorstellungen gegenüber der bisherigen Vertragspartnerin, der jetzigen Beigeladenen. Er ging zunächst von der Zulässigkeit einer Direktvergabe nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 aus. In der Zeit von August 2009 bis August 2010 fanden umfangreiche Verhandlungen mit der Beigeladenen statt, in die nachfolgend auch die Antragsgegner zu 2) bis zu 4) einbezogen wurden. Am 13.8.2010 legte die Beigeladene ein sog. "finales" Angebot für den Abschluss eines Verkehrsvertrages vor. Die Antragsgegner zu 1) bis zu 4) schlossen am 20./22.09./11.10.2010 eine Verwaltungsvereinbarung über die Durchführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Bestellung von Schienenpersonennahverkehrsleistungen des Elektronetzes Nord. Ziel der Verwaltungsvereinbarung war die gemeinsame Durchführung des Vergabeverfahrens, ohne dass damit eine Aufgabe oder Delegation eigener öffentlicher Aufgaben durch einen der Vertragspartner verbunden sein sollte, sowie eine abgestimmte Entwicklung der jeweiligen Vertragsverhältnisse. Nach der Vorstellung der Vertragspartner sollte jeder Aufgabenträger in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich Vertragspartner des einheitlich zu beauftragenden Eisenbahnverkehrsunternehmens (künftig: EVU) werden; eine gesamtschuldnerische Haftung sollte nicht begründet werden (§ 1 Abs. 1 UA 2). Die Vergabe des Auftrags sollte gemeinsam durch alle Antragsgegner erfolgen (§ 2 Abs. 1), wobei die Vertragspartner die NASA GmbH bevollmächtigten, die Funktionen...