Leitsatz (amtlich)
1. Das nationale Recht ist so konzipiert, dass es den Zugang eines Bieters bzw. Bewerbers zum vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren erst ab Beginn des förmlichen Vergabeverfahrens, regelmäßig also ab Beginn der Vergabebekanntmachung, eröffnet.
Soweit verschiedene Nachprüfungsinstanzen im Bestreben, effektiven Rechtsschutz auch gegen eine vermeintlich vergaberechtswidrige Nichtausschreibung zu gewähren, für den Zugang zum Nachprüfungsverfahren an einem materiellen Begriffsverständnis des Vergabeverfahrens anknüpfen, erscheint dies nur im Einzelfall praktikabel und justiziabel, im Allgemeinen befördert es eher Rechtsunsicherheit.
Für eine Rechtsfortbildung ist maßgeblich, ob und inwieweit das Gemeinschaftsrecht, hier insb. die Bestimmungen der Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie, von den Mitgliedsstaaten die Sicherstellung einer Nachprüfungsmöglichkeit von Beschaffungsvorgängen außerhalb förmlicher Vergabeverfahren, ggf. bereits in einem sehr frühen Stadium des Beschaffungsvorganges, verlangt, d.h. ab wann aus Sicht des Gemeinschaftsrechts eine konkrete, der Nachprüfung zugängliche Entscheidung der Vergabebehörde über die Art und Weise der Beschaffung vorliegt.
2. Zu den Voraussetzungen eines vergabefreien Eigengeschäftes des öffentlichen Auftraggebers (so gen. „In-house-Geschäft”) bei einem Vertrag über Dienstleistungen mit einer so genannten Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand.
Tenor
I. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Erledigung von Ziff. II. und III. dieses Beschlusses ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vom 21.12.1989 (ABl. Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 33), erweitert durch Art. 41 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18.6.1992 (ABl. 1992 Nr. L 209 vom 24.7.1992, S. 1) – im Folgenden: Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie (RMKR) –, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verlangt Art. 1 Abs. 1 S. 1 RMKR von den Mitgliedsstaaten die Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu vergeben, das den Bestimmungen der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist?
2. Verlangt Art. 1 Abs. 1 S. 1 RMKR von den Mitgliedsstaaten auch die Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidungen der Vergabebehörden im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung, insb. der Entscheidung der Vorfragen, ob ein bestimmter Beschaffungsvorgang überhaupt in den persönlichen bzw. sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge fällt bzw. ob ausnahmsweise ein Ausschluss des Vergaberechts vorliegt?
3. Für den Fall der Bejahung der Vorlagefrage II.1. und der Verneinung der Vorlagefrage II.2.: Genügt ein Mitgliedsstaat seiner Verpflichtung zur Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu vergeben, das den Bestimmungen der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist, wenn der Zugang zum Nachprüfungsverfahren vom Erreichen eines bestimmten formellen Stadiums des Beschaffungsvorgangs, z. Bsp. vom Beginn mündlicher oder schriftlicher Vertragsverhandlungen mit einem Dritten, abhängig gemacht wird?
III. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 1 lit. a) der Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18.6.1992 (ABl. Nr. L 209 vom 24.7.1992, S. 1), geändert durch Beitrittsakte 1994 (ABl. Nr. C 241 vom 29.8.1994, S. 233) sowie durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1997 (ABl. Nr. L 328 vom 13.10.1997, S. 1) – im Folgenden: Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie (DKR) –, folgende Fragen zur Vorab-entscheidung vorgelegt:
1. Ausgehend davon, dass ein öffentlicher Auftraggeber, wie etwa eine Gebietskörperschaft, beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich formal von ihm unterscheidet – im Folgenden: der Vertragspartner –, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu schließen, der der DKR unterfallen würde, und weiter ausgehend davon, dass dieser Vertrag ausnahmsweise dann kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag i.S.v. Art. 1 lit. a) DKR ist, wenn der Vertragspartner der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist – im Folgenden: vergabefreies Eigengeschäft –, möchte der Senat wissen, ob die Einordnung eines solchen Vertrages als vergabefreies Eigengeschäft stets durch die bloße gesellschaftsre...