Entscheidungsstichwort (Thema)
BAB: Erd- u. Deckenbau VI
Leitsatz (amtlich)
1. Leitet ein öffentlicher Auftraggeber für einen identischen Beschaffungsvorgang, der nur einmal realisiert werden kann und soll, vor Abschluss der ursprünglichen Ausschreibung ein weiteres Vergabeverfahren ein, so verletzt die Doppelausschreibung für diejenigen Bieter, die im ursprünglichen Verfahren ein zuschlagfähiges Angebot abgegeben haben, sowohl deren Recht auf Durchführung eines fairen Wettbewerbs als auch auf Beachtung des Diskriminierungsverbots.
2. Die Anordnung der Aufhebung der Ausschreibung durch die Nachprüfungsinstanzen kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Aufhebung das einzig verhältnismäßige Mittel ist, um die drohende oder bereits eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen.
Verfahrensgang
2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 02.08.2006; Aktenzeichen 2 VK LVwA 27/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 2.8.2006, 2 VK LVwA 27/06, aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird angewiesen, die Ausschreibung des Bauauftrages "Bundesautobahn A. Neubau (Erd- und Deckenbau) der Bundesautobahn auf 5,9 km Länge und Neubau des Bauwerks BW ... einschließlich Blendschutzwand", bekannt gemacht u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13.7.2006 (S-131), aufzuheben.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden auf 5.000 EUR festgesetzt.
Im Verfahren vor der Vergabekammer war die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin notwendig.
Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 436.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin, vertreten durch eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb im März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt bei mehr als 7,5 Mio. EUR.
Im März 2006 hob die Antragsgegnerin diese ursprüngliche Ausschreibung wegen der inzwischen eingetretenen zeitlichen Verzögerung der Auftragsvergabe auf. Zwei Bieterinnen des ursprünglichen Vergabeverfahrens, die hiesige Antragstellerin und die hiesige Beigeladene, rügten die Aufhebung als vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab. Auf die gleichgerichteten Nachprüfungsanträge der beiden Bieterinnen gab die 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 23.5.2006 auf, die Aufhebung rückgängig zu machen und das (ursprüngliche) Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Vergabekammer fortzuführen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 12.6.2006 sofortige Beschwerde erhoben. In diesem Beschwerdeverfahren hat der erkennenden Vergabesenat mit Beschluss vom heutigen Tage die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin als unbegründet zurückgewiesen und die Anweisung der Vergabekammer dahin konkretisiert, dass sie die Antragsgegnerin angewiesen hat, im ursprünglichen Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot der hiesigen Antragstellerin zu erteilen.
Am 3.7.2006 sandte die Antragsgegnerin die Bekanntmachung der Vergabe eines Bauauftrags mit identischer Bezeichnung im Offenen Verfahren an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften; die Bekanntmachung wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13.7.2006 (S-131) veröffentlicht. Die Angebotsfrist für diese Ausschreibung (künftig: zweites Vergabeverfahren) endete ursprünglich am 11.8.2006, 12:00 Uhr. Die Bezeichnung des Auftrags, der allgemeine Gegenstand des Auftrags, der Ort der Ausführung und die Nichtaufteilung in Lose waren identisch. Auch die Aufführung der wesentlichen Leistungen unter Ziff. II.. 2.1. der Vergabebekanntmachung war völlig identisch. Ausweislich der Verdingungsunterlagen sind diverse Leistungspositionen geändert, z. Bsp. ist statt der Leistungsposition "Bäume fällen und roden" nur noch die Leistung "Stubben roden" ausgeschrieben.
Die Antragstellerin rügte die zweite Ausschreibung am 10.7.2006 als vergaberechtswidrig und beantragte nach der ausdrücklichen Weigerung der Antragsgegnerin, dieses neue Vergabeverfahren bis zur Entscheidung über die Fortführung oder Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens...