Leitsatz (amtlich)
1. Will sich die Behandlerseite mit Erfolg darauf berufen, dass im Rahmen mehrerer Injektionsbehandlungen im LWS-Bereich eine hinreichende Risikoaufklärung "zumindest im Ansatz" dokumentiert und für eine solche behauptete Aufklärung "einiges an Beweis erbracht" sei, weshalb der Aussage des aufklärenden Arztes zu den regelmäßig kommunizierten Aufklärungsinhalten auch für den konkreten Fall "im Zweifel zu glauben" sei, so scheitert eine Anwendung dieser "Zweifelsregel", wenn diejenige Behandlung, auf sie sich die potentiell "im Ansatz" dokumentierte Aufklärung bezieht, eine andere ist als die später nachfolgende Behandlung, in deren Folge der Patient einen Gesundheitsschaden erlitten hat.
2. Wurde zunächst eine epidurale Injektion von Schmerzmitteln im LWS-Bereich mit Zielrichtung auf das linke Iliosakralgelenk durchgeführt und später von der - an sich in Aussicht genommenen und mit dem Patienten vereinbarten - Wiederholung dieses Eingriffs Abstand genommen und stattdessen eine sog. Facettenblockade durchgeführt (Injektion in und an die Facettengelenke), so handelt es sich hierbei um - nach Gelenkzielrichtung und Vorgehensweise - unterschiedliche Behandlungen, die jeweils einer spezifischen Risikoaufklärung bedürfen. Eine für den einen Eingriff im Ansatz dokumentierte Risikoaufklärung macht eine notwendige Risikoaufklärung für den anderen Eingriff nicht entbehrlich.
3. Die Risikoaufklärung des Patienten im Vorfeld einer Facettenblockade ist unzureichend, wenn sie sich auf die schlagwortartige Erwähnung eines "Infektionsrisikos", der "Möglichkeit der Verschlechterung und der Nachblutung", eines "Allergierisikos" sowie von "intravasalen Beeinträchtigungen" beschränkt. Dem Patienten ist das (wenn auch äußerst seltene) Risiko einer dauerhaften Nervenschädigung und damit einhergehenden dauerhaften Bewegungseinschränkungen/Lähmungen unmissverständlich vor Augen zu führen. Der Umstand, dass die Patientin im konkreten Fall Krankenschwester war, machte eine solche Aufklärung nicht entbehrlich.
4. Will der Behandler zur Begründung eines fehlenden Ursachenzusammenhangs zwischen der unterbliebenen bzw. unzureichenden Aufklärung und dem eingetretenen Schaden eine hypothetische Einwilligung einwenden, so hat er dies substantiiert und widerspruchsfrei darzulegen. Daran fehlt es, wenn die Behandlerseite darauf verweist, die Patientin hätte hypothetisch eingewilligt, weil die durchgeführte Facettenblockade angesichts eines "erheblichen Leidensdrucks" der Patientin "alternativlos" gewesen sei, während sich aus den von der Behandlerseite zur Akte gereichten Krankenunterlagen und aus einem "Erinnerungsprotokoll" der behandelnden Ärzte ergibt, dass im Zeitpunkt des Eingriffs kein "erheblicher Leidensdruck" bestand und sich im Übrigen nach den Feststellungen des Sachverständigen die durchgeführte Facettenblockade zwar als für die Patientin von Vorteil darstellte, ohne aber absolut indiziert gewesen zu sein.
Verfahrensgang
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 1 des LG Stendal vom 18.12.2013 - 21 O 71/10 - durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.3.2015.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf immateriellen Schadensersatz wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung im Klinikum der Beklagten im Juni/Juli 2009 in Anspruch. Zudem begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche aus der Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft sowie etwaiger, nicht vorhersehbarer immaterieller Zukunftsschäden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Zuletzt verlangt sie von der Beklagten die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten an ihre Rechtsschutzversicherung.
Seit 2007 leidet die am 12.6.1973 geborene Klägerin unter Beschwerden im Iliosakralgelenk. Sie erlitt am 4.2.2009 eine LWS-Distorsion, ging ihrem Beruf als Krankenschwester aber einstweilen weiter nach. Am 29.06./30.6.2009 hielt sie sich wegen einer Bandscheibenprotusion L 4/5 in stationärer Behandlung im Klinikum der Beklagten auf. Dort wurde ihr das Formblatt "Diskographie/Disko-CT" zur Unterschrift vorgelegt. Wegen des Inhalts dieses Formblatts wird auf Anlage B 1 Bezug genommen. Anschließend erhielt sie eine (komplikationslos verlaufende) Injektion von Schmerzmitteln im LWS-Bereich (sog. epidurale Injektion); das linke Iliosakralgelenk (ISG) wurde mit Xylonest und Triamhexal infiltrie...