Leitsatz (amtlich)
1. Zum Ausschluss der Geschäftsfähigkeit aufgrund einer Alkoholerkrankung.
2. Die ärztliche Schweigepflicht reicht über den Tod des Behandelten hinaus. Zu den Voraussetzungen für die Annahme der Entbindung von der Verpflichtung zur ärztlichen Schweigepflicht in diesen Fällen.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Beschluss vom 09.09.2004; Aktenzeichen 6 O 1124/04) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin v. 14.10.2004 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Magdeburg vom 9.9.2004 i.V.m. dem Nichtabhilfeabschluss vom 18.10.2004 abgeändert und zur Klarstellung neu gefasst.
II. Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M.P. aus E. bewilligt.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Rechtsstreites über Leistungen aus einer Wohnhaus-Universal-Versicherung.
Der von der Antragstellerin gem. dem Erbschein des AG Sangerhausen - Nachlassgericht - v. 22.6.2004 (Az. 10 VI 104/04 [Bl. 95 d.A.]) beerbte und am 14.4.2003 verstorbene Ehemann A. R. hatte mit der Antragsgegnerin eine Wohnhaus-Universal-Versicherung unter Einbeziehung der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88) abgeschlossen (Bl. 14-18 und 69-89 d.A.). Versicherte Sache war das Gebäude Sch. 87a in N. nebst Garage und Terrasse (§ 1 Ziff. 1 VGB 88).
Am Vormittag des 14.4.2003 entleerte der Versicherungsnehmer A.R. mehrere Propangasflaschen in der Garage im Keller des Anwesens und entzündete das Gas, was zu einer Explosion führte, bei der der Versicherungsnehmer verstarb und das Gebäude zerstört wurde. Die Antragsgegnerin hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr.- Ing. C.Rl. aus D. zum Gebäudeschaden eingeholt, der zu einem Gesamtschaden Neuwert i.H.v. 225.686,37 Euro brutto gelangt, was von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen wird. Mit der beabsichtigten Klage verlangt die Antragstellerin diesen Betrag sowie weitere 9.210 Euro für den durch die Explosion zerstörten Hausrat (Bl. 60 f d.A.).
Die Antragsgegnerin wendet ein, dass der Versicherungsfall vorsätzlich von ihrem Versicherungsnehmer herbeigeführt worden sei und sie deshalb nach § 9 Ziff. 1 lit. a VGB 88 leistungsfrei sei. Die Antragstellerin ist hingegen der Meinung, dass ihr verstorbener Ehemann durch seinen vieljährigen Alkoholmissbrauch psychisch erkrankt gewesen sei und er den Versicherungsfall im schuldunfähigen Zustand herbeigeführt habe.
Die 6. Zivilkammer des LG Magdeburg hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss v. 9.9.2004 zurückgewiesen und zur Begründung der Entscheidung ausgeführt, dass der Antragstellerin nach der Darlegungs- und Beweislastverteilung die Darlegung der Schuldunfähigkeit ihres Gatten im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses obliege. Dem sei sie nicht im ausreichenden Maße nachgekommen, denn eine fortschreitende Alkoholerkrankung, die bei dem Versicherungsnehmer u.a. durch ein aggressives Verhalten gekennzeichnet gewesen sei, genüge nicht für die Annahme der Schuldunfähigkeit. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit könne nur dann diagnostiziert werden, wenn entweder die Sucht Symptom einer bereits vorhandenen Geisteskrankheit sei oder wenn der durch die Sucht verursachte Abbau der Persönlichkeit bereits den Wert einer Geisteskrankheit erreicht habe. Letzteres liege erst bei durch den Alkoholismus verursachten hirnorganischen Veränderungen mit entsprechender Symptomatik vor. Gerade diese Voraussetzung lasse sich nach dem Vortrag der Antragstellerin nicht feststellen, denn der verstorbene Ehemann habe neben der Alkoholerkrankung nach dem Bericht der ihn behandelnden Ärztin Dr. N. v. 10.6.2003 (Bl. 59 d.A.) unter der familiären Trennungssituation gelitten.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der am 15.10.2004 eingegangenen sofortigen Beschwerde v. 14.10.2004. Sie weist darauf hin, dass sie sich zum Beweis der Schuldunfähigkeit ihres Ehemannes auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens bezogen habe. Die auf dem Alkoholabusus beruhenden hirnorganischen Veränderungen hätten ihren Ausdruck in den charakterlichen Veränderungen gefunden. Die krankhaften Vorstellungen ihres getrennt lebenden Ehemannes hätten einer freien Bestimmung des Willens entgegengestanden. Im Übrigen dürfe die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren so intensiv wie im Hauptsacheverfahren betrieben werden müsse.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Magdeburg v. 9.9.2004 ist zulässig, insb. form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 567 Abs. 1 und 2, 127 Abs. 2 ZPO).
III. Die beabsichtigte Klage der Antragstellerin auf Zahlung der Versicherungsleistung bietet eine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ihr die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist (§ 114 ZPO). Die sofortige...