Leitsatz (amtlich)

Ein immaterieller Schaden besteht nicht nur in körperlichen und seelischen Schmerzen als Reaktion auf die Verletzung des Körpers oder die Beschädigung der Gesundheit. In Fällen schwerster Schädigung kann eine ausgleichspflichtige immaterielle Beeinträchtigung gerade darin liegen, dass die Persönlichkeit ganz oder weitgehend zerstört ist. Es handelt sich insoweit um eine eigenständige Fallgruppe, bei der die Einbuße der Persönlichkeit bzw. der Wegfall der Basis für ihre Entfaltung durch den Verlust der Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit im Vordergrund steht und deshalb auch bei der Bemessung der Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB einer eigenständigen Bewertung zugeführt werden muss.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Beschluss vom 21.09.2010; Aktenzeichen 9 O 1177/10)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 09. Zivilkammer des LG Magdeburg vom 21.9.2010 teilweise abgeändert und der Antragstellerin - über die bereits durch das LG zuerkannte Prozesskostenhilfe hinaus - für den ersten Rechtszug zum Klageantrag zu 2) Prozesskostenhilfe auch insoweit bewilligt, als sie ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von maximal 400.000 EUR nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit begehrt.

Der Antragstellerin wird auch insoweit Rechtsanwalt Q., K. Straße 2 A, W. zur Vertretung in erster Instanz beigeordnet.

Im Übrigen wird die im Hinblick auf die Schmerzensgeldklage zu 2) beantragte Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Die weitergehend sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird zurück gewiesen.

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den die beantragte Prozesskostenhilfe zurückweisenden Teil des Beschlusses der 9. Zivilkammer des LG Magdeburg vom 21.9.2010 ist nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. §§ 567 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 ZPO zulässig und hat auch in der Sache teilweise Erfolg.

Soweit die Antragstellerin mit ihrem Rechtsmittel die teilweise Zurückweisung der beantragten Prozesskostenhilfe zum Klageantrag zu 2) angefochten hat und eine Prozesskostenhilfebewilligung über den von dem LG als angemessen angenommenen Entschädigungsbetrag von 350.000 EUR hinaus im Umfang von weiteren 150.000 EUR an Schmerzensgeld weiter verfolgt, ist ihr Rechtsmittel zum Teil, nämlich im Hinblick auf eine Erhöhung der Entschädigungssumme um 50.000 EUR begründet, im Übrigen jedoch - mangels hinreichender Erfolgsaussichten einer 400.000 EUR übersteigenden Schmerzensgeldklage - nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

I. Die sachlichen Bewilligungsvoraussetzungen des § 114 ZPO, nämlich die hinreichende Erfolgsaussicht für den hier allein noch im Beschwerdeverfahren in Rede stehenden Schmerzensgeldantrag zu 2), liegen hier im Umfang einer Begehrensvorstellung von maximal 400.000 EUR vor.

Der Senat gelangt aufgrund der nach § 114 ZPO gebotenen summarischen Prüfung der bisherigen Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der in Aussicht genommene Schmerzensgeldanspruch der Antragstellerin wegen des behaupteten mangelhaften Geburtsmanagements in der seinerzeit unter der Trägerschaft der Antragsgegnerin stehenden Klinik aus §§ 823 Abs. 1, 831, 31, 89, 847 BGB in der bis zum 31.7.2002 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) i.V.m. Art. 229 § 8 EGBGB in einer Größenordnung von bis zu 400.000 EUR erfolgsversprechend sein könnte.

Wie das LG in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, kann - unter Zugrundelegung des schlüssigen und unter Beweis gestellten Sachvorbringens der Antragstellerin - eine Schadensersatzhaftung der Antragsgegnerin als Trägerin des Klinikums wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers bei der Geburt der Antragstellerin dem Grunde nach aus §§ 823 Abs. 1, 31, 89, 831, 847 BGB a.F. (Art. 229 § 8 EGBGB) nicht ausgeschlossen werden.

Unterstellt man im Rahmen der summarischen Erfolgsprüfung nach § 114 ZPO den Sachvortrag der Antragstellerin zu ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere zu ihrer geistigen Leistungs-, Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als richtig, so erachtet der Senat ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von bis zu 400.000 EUR für angemessen, aber auch ausreichend, um die eingetretenen Gesundheitsschäden der Antragstellerin zu kompensieren.

1. Die Funktion des dem Verletzten gem. § 847 BGB a.F. nach billigem Ermessen zuzubilligenden Schmerzensgeldes besteht im Wesentlichen darin, ihm einen angemessenen materiellen Ausgleich für diejenigen Schäden zu bieten, die nicht vermögensrechtlicher Natur sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung zu t...

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