Leitsatz (amtlich)
Erleidet ein Kind, dessen Mutter kurz vor seiner Geburt aus Fehlverhalten des Klinikpersonals ein Schmerzmittel verabreicht wurde, gegen dessen Wirkstoffe eine der Klinik bekannte Allergie der Mutter bestand, infolge des dadurch eingetretenen Kreislaufschocks der Mutter eine schwere perinatale Hirnschädigung, die zu einer komplexen, tiefgreifenden körperlichen wie mentalen Entwicklungsstörung mit erheblicher Behinderung der Sprachentwicklung, Kommunikationsfähigkeit, Koordination und Autonomie geführt hat und sich bei Zeichen einer zunehmenden Invalidisierung und vollständigen Immobilität auch in einer dystonen Tetraparese mit Dyskinesiemerkmalen, einer Spitzfußstellung und Athetose, einem Krampfleiden sowie einer Stuhl- und Harninkontinenz äußert, sind 350.000 EUR Schmerzensgeld sowie eine Schmerzensgeldrente von 500 EUR monatlich nicht zu hoch bemessen.
Dabei spielt es allenfalls eine untergeordnete Rolle, in welchem Ausmaß die Erlebnis- und Empfindungsfähigkeit des Kindes eingeschränkt ist.
Verfahrensgang
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG München I vom 2.3.2005 wird durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
II. Der Kläger wird des eingelegten Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt.
III. 1. Die Kosten des Berufungsverfahrens bis zur Rücknahme der Berufung des Klägers tragen der Kläger zu 29 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 71 %.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens nach Rücknahme der Berufung des Klägers tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch.
IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens bis zur Rücknahme des Klägers wird auf 663.418,38 EUR, der Streitwert danach auf 473.472,70 EUR festgesetzt.
Gründe
I.1. Der Kläger macht wegen fehlerhafter Behandlung seiner Mutter bei seiner Geburt am 15.4.1995 im Krankenhaus M.H. ggü. den Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Ausgleich des Pflegemehrbedarfs sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden geltend.
Die Beklagte zu 1) ist die Trägerin des Städtischen Krankenhauses M. H., die Beklagten zu 2) und 3) waren damals und sind auch heute angestellte Hebammen in dieser Klinik.
Obwohl die Mutter des Klägers sowohl im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung eine Allergie auf das Schmerzmittel Optalidon angegeben hatte, die auch in dem von der Beklagten zu 3) ausgefüllten Aufnahmebogen vermerkt worden war, als auch sich ein Vermerk auf diese Allergie im Mutterpass findet, der der Beklagten zu 3) bei Klinikaufnahme ebenfalls ausgehändigt wurde, verabreichte die Beklagte zu 2) der Mutter des Klägers wegen starker Wehentätigkeit das Schmerzmittel Spasmo-Cibalgin in Form eines Suppositoriums, das ebenso wie das Medikament Optalidon, auf das die bekannte Allergie bestand, den Wirkstoff Propyphenazon enthält.
Die Mutter des Klägers reagierte hierauf innerhalb weniger Minuten mit einem allergisch bedingten Kreislaufschock.
Der kurz darauf geborene Kläger erlitt durch eine fetale Bradycardie infolge der allergischen Reaktion der Mutter eine schwere perinatale Hirnschädigung und ist seit der Geburt zu 100 % schwerbehindert.
Er leidet heute unter einer schweren Form einer komplexen und globalen Entwicklungsstörung tiefgreifender Art mit körperlicher wie mentaler Behinderung.
Insbesondere bestehen eine Behinderung der Sprachentwicklung, Kommunikationsfähigkeit und Koordination sowie eine Behinderung der Autonomie bei Zeichen einer zunehmenden Invalidisierung und vollständigen Immobilität. Der Kläger ist weder zur selbständigen Nahrungsaufnahme noch zum selbständigen Spiel oder gar zur Selbstbestimmung in der Lage. Er leidet unter einer dystonen Tetraparese mit Dyskinesiemerkmalen. Darüber hinaus bestehen ein Krampfleiden, eine Spitzfußstellung und Athetose sowie eine Stuhl- und Harninkontinenz.
Die Beklagten haben die Haftung dem Grunde nach unstreitig gestellt.
Das LG hat die Beklagten mit Urt. v. 2.3.2005 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 350.000 EUR abzgl. eines vom Haftpflichtversicherer der Beklagten bereits bezahlten Betrages von 127.822 EUR, zur Zahlung einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 500 EUR sowie zur Zahlung einer monatlichen Pflegemehrbedarfsrente ab 1.11.2000, hierbei ab 1.5.2007 i.H.v. 2.410 EUR verurteilt und weiter festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet seien, dem Kläger auch den weiteren, von den Leistungsanträgen nicht erfassten materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die anlässlich der Geburt am 15.4.1995 erlittene Schädigung bereits entstanden ist und noch entstehen wird, sowie den dadurch zukünftig noch entstehenden immateriellen Schaden, soweit kein Anspruchsübergang stattfindet oder stattgefunden hat.
Im Übrigen hat das LG die geringfügig weiter gehende Klage abgewiesen.
Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
Der Kläger hat seine Berufung nach der mit Senatsbeschluss vom 9.8.2005 erfolgten Ankündigu...