Leitsatz (amtlich)
1. Im Antragsverfahren nach § 169 Abs. 2 Satz 5 GWB ist vom Beschwerdegericht eine eigenständige Abwägung nach § 169 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 GWB vorzunehmen.
a) Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung allein wegen fehlender Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen sich die Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags im Rahmen einer summarischen Prüfung sofort und auf den ersten Blick erschließt. Gegen eine evident fehlende Erfolgsaussicht spricht es, wenn der Vorsitzende der Vergabekammer die Entscheidungsfrist unter Verweis auf die Schwierigkeiten des Falls wiederholt verlängert hat.
b) Ein besonderes Beschleunigungsinteresse des Auftraggebers ergibt sich nicht allein daraus, dass eine nicht unerhebliche Verzögerung bei der Erteilung des Zuschlags eingetreten ist. Die pauschale Behauptung, dass ihr "finanzielle Schäden bis hin zum Scheitern des Großbauprojekts" drohten, rechtfertigt eine vorzeitige Zuschlagsgestattung nicht; hierzu bedarf es der Vereinzelung und der Untersetzung, z.B. durch Vorlage eines Bescheides über die Fristbindung der Fördermittel. Die Verzögerung muss auf Umständen beruhen, die sich einer geordneten Projektplanung von vornherein entziehen; mit der Möglichkeit einer verzögerten Zuschlagserteilung wegen eines Nachprüfungsverfahrens muss der Auftraggeber grundsätzlich rechnen.
2. Verlangt der öffentliche Auftraggeber von den Bewerbern die Vorlage einer personenbezogenen Referenzliste (hier: für Erfahrungen mit der Bewirtschaftung von Fördermitteln für Gemeinschaftsaufgaben) und legt der Bewerber lediglich eine unternehmensbezogene Referenzliste vor, ist vor einer negativen Bewertung bzw. einem Ausschluss zu prüfen, ob die Erklärung unter Einbeziehung des Kontextes des Teilnahmeantrags (also durch Auslegung) dahingehend verstanden werden kann, dass eine bestimmte Person alle Projekte der Referenzliste bearbeitet hat.
Verfahrensgang
VK Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 29.08.2018; Aktenzeichen 2 VK LSA 2/18) |
VK Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 29.08.2018; Aktenzeichen 2 VK LSA 21/18) |
Tenor
Auf den Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 29. August 2018 aufgehoben.
Das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Antragsverfahrens nach § 169 Abs. 2 S.5 GWB vor dem Vergabesenat einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Antragsverfahren wird auf 37.485,00 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragsgegnerin plant gemeinsam mit der Stadt L. im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit als regionales Verkehrsprojekt den Ausbau der Verbindungsstraßen L ...1 - K ... 6 - L ...9 zur Anbindung der Region in Richtung der Bundesautobahn (BAB) A ... . Wegen des zu erwartenden hohen Abstimmungs- und Koordinierungsbedarfes zwischen den Projektbeteiligten und -betroffenen soll ein Projektmanagement die Umsetzung des Projektes begleiten und die Erreichung der Projektzielstellungen sicherstellen.
Die Antragsgegnerin schrieb daher mit öffentlicher Bekanntmachung vom 06. Dezember 2017 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die Vergabe von Projektmanagementleistungen für das Straßenbauvorhaben "Qualifizierte Anbindung regionaler Wirtschaftsunternehmen an die regionalen und überregionalen Verkehrsnetze" im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus.
In der Beschreibung der Beschaffung war unter Abschnitt II Ziffer 2.4 der öffentlichen Bekanntmachung ausgeführt, dass die geplante Verbindungsstraße L ... 1 - K ... 6 - L... 9 als Zubringer zur A ... zwischen Februar 2018 und Juni 2021 realisiert werden soll und hierfür ein Budget von maximal 26.000.000 Euro zur Verfügung steht, soweit die beantragten Fördermittel zugewendet werden. Erwartet werde, dass im Fall einer Beauftragung ab Februar 2018 das angebotene Projektteam zur Sicherstellung der Termine für die Projektrealisierung (Nutzungsübergabe /Widmung: 30. Juni 2021) sofort und vollumfänglich zur Verfügung stehe. Ausweislich der Vergabebedingungen soll der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes darstellen. Nach Prüfung der Teilnahmevoraussetzungen sollten mittels eines Punktesystems die Eignungskriterien bewertet werden. Der geschätzte Auftragswert war in Abschnitt II. Ziffer 2.6 der öffentlichen Bekanntmachung mit 630.000,- Euro ohne Mehrwertsteuer angegeben. Unter Abschnitt II Ziffer 2.9 der Bekanntmachung war bestimmt, dass insgesamt drei Bewerber zur Einreichung ihrer Angebote zur Durchführung des Teilnahmewettbewerbs aufgefordert werden. Abschnitt III Ziffer 1.3 der Bekanntmachung verwies hinsichtlich der Teilnahmebedingungen zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf die ergänzenden verbindlichen Anforderungen für die einzureichenden Teilnahmeanträge, die auf der E-Vergabeplattform veröffentlicht waren. Darin war als zwing...