Leitsatz (amtlich)
1. Der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht zu Unrecht Tatmehrheit statt Tateinheit angenommen hat.
2. Maßgeblicher Gesichtspunkt für den Schuldumfang beim Erschleichen von Beförderungsleistungen ist der ersparte Fahrpreis und nicht der vom Beförderungsunternehmen errechnete "Realschaden".
3. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt voraus, dass unter Beachtung des nach § 47 Abs. 1 StGB geltenden Regel-Ausnahmeverhältnisses die Unverzichtbarkeit einer freiheitsentziehenden Einwirkung mit einer umfassenden und erschöpfenden Begründung dargestellt wird. Verbüßt der Angeklagte nach den Taten erstmals Freiheitsstrafe, bedarf es der ausdrücklichen Erörterung der Frage, ob gleichwohl die Verhängung weiterer kurzer Freiheitsstrafen unerlässlich ist.
4. Eine Gesamtfreiheitsstrafe, die die Einsatzstrafe um das Dreifache oder mehr erhöht, überschreitet bei Bagatelldelikten in der Regel den angemessenen Strafrahmen.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Entscheidung vom 28.06.2011; Aktenzeichen 28 Ns 55/11) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht Magdeburg hatte den Beschwerdeführer am 16. März 2011 des Erschleichens von Leistungen in 21 Fällen für schuldig befunden und ihn deswegen zur Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung hat der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht hat die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
II. Das Rechtsmittel dringt mit der Sachrüge durch.
1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch war wirksam. Dies bedarf indessen der Erörterung, weil das Urteil des Amtsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern ist, was sich bereits bei seiner Lektüre erschließt.
a.) Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer des Erschleichens von Leistungen in 21 Fällen für schuldig befunden, obwohl er "nur" 20 derartige Straftaten begangen hat.
Unter Ziffer II. Nr. 7. und 8. hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagten am 18. Juli 2010 um 12.37 Uhr einen Zug der Deutschen Bahn von W. nach M. ohne den erforderlichen Fahrschein benutzte und dass sich an diesem Zustand 3 Minuten später, am 18. Juli 2010 um 12.40 Uhr, nichts geändert hatte. Der Blick in die dem Senat aufgrund der Sachrüge zugängliche Anklageschrift erhellt, dass es sich bei diesen Feststellungen (gleicher Tag, fast dieselbe Uhrzeit) nicht um einen Schreibfehler handelt, sondern dass der Angeklagte sowohl um 12.37 Uhr als auch um 12.40 Uhr im selben Zug saß, nämlich der Regionalbahn mit der Nummer ... . Das Amtsgericht hat in diesem einheitlichen Vorgang (Schwarzfahrt von W. nach M.) zwei Straftaten erblickt, was indes offenbar nicht richtig ist, denn das Erschleichen von Leistungen beginnt nicht alle drei Minuten von Neuem.
Gleichwohl ist die Annahme des Landgerichts, die Berufungsbeschränkung sei auch insoweit wirksam, nicht zu beanstanden. Der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung steht nämlich nach überwiegender Ansicht nicht entgegen, dass das Amtsgericht zu Unrecht Tatmehrheit statt Tateinheit bzw. natürlicher Handlungseinheit angenommen hat (BGH NStZ-RR 1996, 267; BayObLG NStZ 1988, 570, 571; OLG Hamm VRS 114, 287, 289; NStZ-RR 2010, 345; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 74, 75). Diese Auffassung überzeugt den Senat auch: Jedem Angeklagten (und auch der Staatsanwaltschaft) steht es frei, ein vollständig fehlerhaftes Urteil rechtskräftig werden zu lassen, indem es nicht angefochten wird. Dann ist es nur konsequent, dass der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit haben, Urteile teilweise, etwa im Schuldspruch, auch dann rechtskräftig werden zu lassen, wenn sie rechtsfehlerhaft sind.
b.) Infolge der Berufungsbeschränkung ist das Landgericht auch davon ausgegangen, an die Feststellungen des Amtsgerichts über die Schadenshöhe gebunden zu sein. Auch diese Annahme war zutreffend. Allerdings hat das Amtsgericht seinen Feststellungen einen unzutreffenden Schadensbegriff zugrunde gelegt. Maßgeblicher Gesichtspunkt für den Schuldumfang beim Erschleichen von Beförderungsleistungen "um das Entgelt nicht zu entrichten" ist der ersparte Fahrpreis. Das Amtsgericht hat seinen Feststellungen indes nicht diesen ersparten Fahrpreis, sondern jeweils den "Realschaden" zugrunde gelegt. Der von der Deutschen Bahn in Fällen des Erschleichens von Leistungen jeweils angegebene "Realschaden" ist indes, wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist, nicht der reale Schaden (ersparter Fahrpreis), sondern ein Konglomerat von vermeintlichen zivilrechtlichen Forderungen, unt...