Leitsatz (amtlich)
Zum Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Entscheidung vom 20.03.2012) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 2. Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 20. März 2012 aufgehoben.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 12. August 2011 wird aufgehoben.
Gründe
Der am 12. Oktober 2011 festgenommene Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen (6 Gs 426 Js 15083/11 - 45/11) vom 12. August 2011, der auf den dringenden Tatverdacht des räuberischen Diebstahls und des Diebstahls sowie den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt ist, seit dem Tag der Festnahme ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Das Landgericht Dessau-Roßlau hat mit Beschluss vom 20. März 2012 (2 Qs 43/12) die gegen den Haftbefehl gerichtete Beschwerde des Angeklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass primär der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde des Angeklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.
Die gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der Untersuchungshaft.
Zwar ist der Angeschuldigte der ihm mit Haftbefehl vom 12. August 2011 zur Last gelegten Taten aufgrund der in der Anklageschrift genannten Beweismittel dringend verdächtig.
Es besteht gegen ihn auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, da bei Würdigung der Umstände die Gefahr besteht, dass er sich dem Strafverfahren entziehen werde.
Der angefochtene Beschluss sowie der Haftbefehl sind jedoch aufzuheben, weil das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot nicht eingehalten wurde.
Das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10; Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09) betont in seiner ständigen Rechtsprechung die Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, der die Freiheit der Person garantiert, und fordert deshalb die konsequente Einhaltung des für Haftsachen geltenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebots (so auch Senat, Beschluss vom 21. April 2010, 1 Ws 222/10, OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2011, 3 Ws 424/11; OLG Brandenburg, StV 2007, 363; OLG Dresden, StV 2007, 93; OLG Koblenz, StV 2007, 91).
Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen verstärkt sich dabei gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (BVerfG, NJW 2006, 652; StV 2007, 644; StV 2008, 421). Untersuchungshaftverfahren sind mit der größtmöglichen Beschleunigung durchzuführen sind und haben grundsätzlich Vorrang vor der Erledigung anderer Strafverfahren (vgl. BVerfG, StV 2006, 73; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2011, 3 Ws 424/11). Die Anwendung dieser Maßstäbe zwingt zu einer effizienten Verfahrensplanung und Durchführung der Hauptverhandlung (BVerfG, StV 2008, 198). Dabei stellt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht nur auf die Hauptverhandlungsdauer ab, sondern auch darauf, dass überhaupt in ausreichendem Umfang Hauptverhandlungstage stattfinden. Der EGMR (vgl. StV 2005, 136) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, StV 2008, 198) gehen davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK bzw. das Beschleunigungsgebot vorliegt, wenn nur an einem Tag in der Woche bzw. im Monat an weniger als vier Tagen eine Hauptverhandlung stattfindet. Lediglich in Ausnahmefällen - z.B. Krankheit von Verfahrensbeteiligten - kann vorübergehend eine geringere Anzahl von Hauptverhandlungstagen zulässig sein.
Im vorliegenden Fall ist diesem Beschleunigungsgebot nicht ausreichend Rechnung getragen.
Es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die Staatsanwaltschaft, obwohl sie bereits am 27. Juli 2011 einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt hat und der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten hinreichend verdächtig war, erst am 10. November 2011, somit einen Monat nach der Festnahme des Angeklagten, Anklage erhoben hat. Ferner hat das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen zwar bereits am 05. Dezember 2011 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, den ersten Hauptverhandlungstag jedoch ohne ersichtlichen Grund erst für den 14. März 2012 und weitere Termine, nachdem die Begutachtung des Angeklagten am ersten Hauptverhandlungstag beschlossen wurde, für den 04. April und 24. April 2012 anberaumt. Insbesondere durch den Umstand, dass bereits im Zeitpunkt der Beantragung des Haftbefehls eine mögliche Drogenabhängigkeit des Angeklagten, der mehrfach wegen Erwerbes von Betäubungmitteln strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden musste und dessen auch im vorliegenden Verfahren zu verhandelnde Taten der Beschaffungskriminalität zugeordnet werden können, bekannt war und deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt eine Begutachtung des Angeklagten hätte veranlasst werden müssen, liegt eine erhebliche Verle...