Leitsatz (amtlich)
1. Die Rücknahme der sofortigen Beschwerde nach § 116 GWB ist ohne Einwilligung des Verfahrensgegners wirksam.
2. Durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde verliert die Anschlussbeschwerde ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO analog).
3. Ist Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ein Verfahren, das auf den Abschluss eines Abfallentsorgungsvertrages mit zehnjähriger Laufzeit gerichtet ist, dann wird das für die Ermittlung des Kostenwertes des Beschwerdeverfahrens maßgebliche wirtschaftliche Interesse der Verfahrensbeteiligten durch diese Laufzeit des Vertrages geprägt. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 VgV steht der Festsetzung eines Kostenwerts auf der Grundlage der zu erwartenden Gesamtvergütung während der Vertragslaufzeit nicht entgegen.
Verfahrensgang
2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 19.10.2011; Aktenzeichen 2 VK LSA 05/11) |
Tenor
I. Die Antragstellerin ist des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 19.10.2011 verlustig.
II. Die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners verliert ihre Wirkung.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 600.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung am 8.2.2012 ihre sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 19.10.2011 zurückgenommen. Die Rücknahme der sofortigen Beschwerde nach § 116 GWB ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners ohne Einwilligung des Verfahrensgegners wirksam.
a) Nach den Verfahrensregelungen des GWB steht die Rücknahme der sofortigen Beschwerde in jeder Lage des Beschwerdeverfahrens zur freien Disposition des Beschwerdeführers, solange und soweit noch eine formell rechtskräftige Entscheidung des Vergabesenats über sie aussteht. Eine Einschränkung der Rücknahmemöglichkeit - wie sie beispielsweise § 269 Abs. 1 ZPO für die Rücknahme einer Klage vorsieht - enthält das GWB nicht (vgl. entsprechende Erwägungen zur Rücknahme des Nachprüfungsantrages BGH, Beschl. v. 24.3.2009 - X ZB 29/08 "Antragsrücknahme im Beschwerdeverfahren", VergabeR 2009, 607; ausdrücklich für die Rücknahme der sofortigen Beschwerde in der mündlichen Verhandlung OLG Jena, Beschl. v. 22.8.2002 - 6 Verg 3/02; OLG München, Beschl. v. 21.9.2010 - Verg 15/10; ebenso Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 120 Rz. 48; Dicks in: Ziekow/Völlink, VergabeR, § 116 GWB Rz. 4 m.w.N.; Stickler in: Reidt/Stickler/Glahs, GWB, 3. Aufl. 2011, § 116 Rz. 27). Damit fehlt es bereits an einer Rechtfertigung der Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers.
b) Selbst wenn man es grundsätzlich für zulässig hielte, eine solche Beschränkung aus einer Gesetzesanalogie herzuleiten, bestünde kein Zustimmungserfordernis. Für eine entsprechende Anwendung wäre auf § 516 Abs. 1 und 2 ZPO zurückzugreifen (vgl. Dicks, a.a.O.; Summa in: juris-PK, 2. Aufl. 2008, § 116 Rz. 55). Denn die Rücknahme der sofortigen Beschwerde ähnelt - wie auch die Rücknahme eines Antrags nach § 115 Abs. 2 S. 5 GWB oder eines Antrags nach § 115 Abs. 2 S. 6 GWB - wegen ihrer Ausgestaltung als ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Vergabekammer nicht der Rücknahme einer Klage, sondern der Rücknahme einer Berufung. Dies gilt trotz des Umstandes, dass das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer kein erstinstanzliches (also kein gerichtliches) Verfahren darstellt (vgl. OLG München, a.a.O.). Die Erhebung einer sofortigen Beschwerde ist - anders als regelmäßig eine Klage - fristgebunden; sie kann nur innerhalb kurzer Zeit erfolgen. Daraus folgt auch, dass der Beschwerdegegner im Falle der Rücknahme der sofortigen Beschwerde nicht jederzeit einer erneuten Anbringung ausgesetzt ist. Vielmehr wird durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde die zuvor ergangene Entscheidung der Vergabekammer, die der Beschwerdegegner akzeptiert hatte, bestandskräftig und vollstreckbar. Eines besonderen Schutzes bedarf ein Beschwerdegegner, anders als ein Beklagter, nicht. Für die Ähnlichkeit zu einer Berufung spricht auch die allgemein für statthaft erachtete Möglichkeit der (unselbständigen) Anschließung. Die Anschlussbeschwerde ist wegen ihrer Struktur, ihrer Funktion und vor allem wegen ihrer Beschränkungen nicht etwa mit einer Widerklage, sondern nur mit einer Anschlussberufung vergleichbar. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Kostenlast im Beschwerdeverfahren wurde vor der Aufnahme des § 78 GWB in die Verweisungsnorm des § 120 Abs. 1 GWB zuletzt einheitlich auf § 97 ZPO, also die Kostenvorschrift für das Rechtsmittelverfahren, zurückgegriffen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 19.12.2000 - X ZB 14/00, BGHZ 146, 202). Auch die Kostenentscheidung bei Rücknah...