Leitsatz (amtlich)
1. Die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB setzt voraus, dass eine Verletzung von Rechten eines Bieters nach dessen Darstellung bereits vorliegt.
Dass der Auftraggeber eine – nach Ansicht des Bieters vergaberechtswidrige – Aufhebung nur in Erwägung zieht oder eine solche Gegenstand einer nicht abgeschlossenen internen Willensbildung ist, stellt noch keine Verletzung der Rechte der Bieter dar (so auch OLG Bdb., Beschl. v. 19.12.2002 – Verg W 9/02, OLGReport Brandenburg 2003, 97 = VergabeR 2003, 168 [169 f]).
2. Eine Verlängerung der Zuschlagfrist stellt keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz dar, wenn der Auftraggeber allen für die Vergabe noch in Betracht kommenden Bietern die Möglichkeit gibt, weiterhin am Vergabeverfahren teilzunehmen.
3. Ein Vergaberechtsverstoß läge vor, wenn die Vergabestelle eine Ausschreibung nur zu dem Zwecke aufhebt, um einem im Vergabeverfahren unterlegenen Bieter auf anderem Wege den ausgeschriebenen Auftrag zu übertragen. Gleiches dürfte gelten, wenn sie das Verfahren aufheben sollte, um eine – nur mit ihrer vorherigen Zustimmung mögliche – Beleihung des unterlegenen Bieters durch eine übergeordnete Behörde zu ermöglichen oder umzusetzen.
Als bereits eingetretener Vergaberechtsverstoß wäre wohl auch die formelle Ankündigung der Aufhebung der Ausschreibung durch die Vergabestelle ggü. den Bietern zu bewerten.
Verfahrensgang
Vergabekammer beim Regierungspräsidium Magdeburg (Beschluss vom 24.02.2003; Aktenzeichen VK 15/02) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Magdeburg vom 24.2.2003 aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird insgesamt als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Magdeburg sowie die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Sie hat auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle zu erstatten.
Die Beigeladene trägt ihre eigenen außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
3. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Vergabestelle sowohl im Verfahren vor der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Magdeburg als auch im Beschwerdeverfahren notwendig war.
4. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Magdeburg betragen 17.000 Euro.
Gründe
I. Die Vergabestelle, ein öffentlicher Auftraggeber, schrieb die Vergabe von Abfallentsorgungsdienstleistungen für den Landkreis J. auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A (VOL/A), im Supplement zum Amtsblatt der EU vom 28.2.2002 aus. Als Leistungsbeginn hatte sie den 1.6.2005 angegeben, die Vertragslaufzeit sollte alternativ bis 31.5.2015 und bis 31.5.2020 angeboten werden. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote legte die Vergabestelle den 16.4.2002 (14.00 Uhr) fest. Die Zuschlags- und Bindefrist sollte am 31.12.2002 enden.
Die Antragstellerin beteiligte sich ebenso wie die Beigeladene und fünf weitere Bieter an der Ausschreibung. Zur Wertung der Angebote bediente sich die Vergabestelle der Fa. U. GmbH in A., die am 21.8.2002 eine Angebotsübersicht mit Preisspiegel zusammenstellte, aus dem das Hauptangebot der Antragstellerin als wirtschaftlichstes Angebot hervorging.
Die Beigeladene stellte am 26.9.2002 beim Regierungspräsidium Magdeburg, der zuständigen oberen Abfallbehörde, einen Antrag auf Übertragung der Entsorgungspflichten gem. § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG über die Dauer von 15 Jahren, beginnend ab dem 1.1.2003.
Am 4.11.2003 überreichte die Fa. U. GmbH der Vergabestelle das Ergebnis ihrer Prüfungen und schlug eine Vergabe an die Antragstellerin vor.
Die Vergabestelle informierte mit Schreiben vom 20.11.2002 alle Bieter darüber, dass sie beabsichtige, die Zuschlags- und Bindefrist bis zum 30.5.2003 zu verlängern. Sie bat darum, dieser Verlängerung möglichst unverzüglich schriftlich zuzustimmen. Zur Begründung bezog sie sich auf den Antrag der Beigeladenen zur Pflichtenübertragung gem. § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG. Die Vergabestelle prüfe derzeit, ob und in welchem Umfang die dazu erforderliche Einwilligung für sie in Frage komme. Diese Prüfung werde nicht vor dem 31.12.2002 abgeschlossen sein. Mit einer Entscheidung der Oberen Abfallbehörde sei vor Mitte Mai 2003 nicht zu rechnen. Sollte der Antrag der Beigeladenen positiv beschieden werden, hätte dies schwerwiegende Auswirkungen auf das laufende Vergabeverfahren.
Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Verlängerung der Zuschlags- und Bindefrist mit Schreiben vom 26.11.202. Sie befürchtete, dass die Vergabestelle nunmehr beabsichtige, eine Zustimmung zur Pflichtenübertragung an die Beigeladene zu erteilen und das laufende Vergabeverfahren aufzuheben. Dieses Vorhaben rechtfertige eine Verlängerung der Bindungsfrist nicht.
Mit Schreiben vom 17.12.2002 wies die Vergabestelle die Rüge zurück und betonte die Notwendigk...