Entscheidungsstichwort (Thema)

BAB: Erd- u. Deckenbau III

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Wahrung der Entscheidungsfrist des § 113 Abs. 1 GWB ist es ausreichend, wenn die Entscheidung der Vergabekammer vor Fristablauf vollständig abgesetzt und zur Geschäftsstelle gelangt ist. Hierfür ist nicht erforderlich, dass auch die Bekanntgabe der Entscheidung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten innerhalb der Entscheidungsfrist bereits bewirkt ist.

2. Die Anordnung der Fortsetzung der Ausschreibung mit dem Ziel einer Zuschlagserteilung kommt nicht nur bei irrtümlicher Aufhebung der Ausschreibung in Betracht, sondern auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber seine Absicht, die ausgeschriebene Leistung von Dritten zu beschaffen, unverändert aufrecht erhält und ihm tatsächlich kein sachlicher Grund, insb. kein Grund i.S.v. § 26 Nr. 1 VOB/A, für die Aufhebung zur Seite steht bzw. wenn die Aufhebung selbst im Falle des Vorliegens eines sachlichen Grundes nicht verhältnismäßig ist.

3. Eine unvollständige Dokumentation des Wertungsprozesses sowie der Grundlagen für die Entscheidung zur Aufhebung einer Ausschreibung kann zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Bieters führen, der geltend macht, dass die Aufhebungsgründe vorgeschoben oder manipuliert sind.

4. Mengenänderungen in einzelnen Leistungspositionen, die nicht auf einer willentlichen Neubestimmung des Beschaffungsbedarfs, sondern auf einer veränderten Prognose des erforderlichen Leistungsumfangs beruhen, rechtfertigen regelmäßig keine Aufhebung einer Ausschreibung, deren Gegenstand ein Einheitspreisvertrag nach VOB/B ist.

5. Wird von einem Auftrag ein Teil der Leistungspositionen nachträglich herausgenommen, so liegt faktisch eine Teilaufhebung der Ausschreibung vor, die einer eigenen sachlichen Rechtfertigung bedarf.

6. Soll eine Aufhebung auf die fehlende Zuschlagfähigkeit der in der Wertung verbliebenen Angebote wegen ihrer Preisrisiken, insb. des Preisrisikos wegen verzögerter Auftragsvergabe, gestützt werden, so ist dieses Risiko im Hinblick auf das konkrete Angebot zu prüfen und sein Ausmaß zu quantifizieren. Als Aufhebungsgrund können regelmäßig nur solche Preisrisiken in Betracht kommen, die im Rahmen einer Neuausschreibung vermeidbar sind.

 

Verfahrensgang

2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen 2 VK LVwA 16/06, 2 VK LVwA 13/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.5.2006, 2 VK LVwA 16/06, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antragsgegnerin neben der Wiederholung der Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Nachprüfungsinstanzen aufgegeben wird, den Zuschlag in diesem Vergabeverfahren bis zum 14.11.2006 zu erteilen auf eines der beiden in der engeren Wahl befindlichen Angebote der Antragstellerin zu 1) oder der Antragstellerin zu 2).

Für den Fall der Nichterfüllung dieser Anweisung wird der Antragsgegnerin die Verhängung eines Zwangsgeldes bis zu einer Höhe von 500.000 EUR angedroht.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen beider Antragstellerinnen zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.508.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, vertreten durch eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb Mitte März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt etwa bei 26 Mio. EUR.

In der Bekanntmachung der Ausschreibung ist als Ausführungszeitraum die Zeit vom 10.8.2005 bis zum 31.8.2007 angegeben (Ziff. II. 3.). Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt werden aufgrund der in den Verdingungsunterlagen genannten Kriterien (Ziff. IV. 2.). Die Verdingungsunterlagen enthalten unter Ziff. 9 der Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 8.4.2005 als maßgebende Kriterien für die Angebotswertung nachfolgende Aufzählung: "Preis, Betriebs- und Folgekosten, technischer Wert, Gestaltung" sowie besondere Anforderungen an Nebenangebote und Preisnachlässe.

Bis zum Ablauf der Angebotsfrist gaben sieben Unternehmen insgesamt sieben Haupt- und 49 Nebenangebote ab. Ausweislich des Submissionsprotokolls reichte die Antragstellerin zu 1) das preislich günstigste Hauptangebot i.H.v. 27.894.044,99 EUR und die Antragstellerin zu 2) das zweitgünstigste Hauptangebot ein, welches unter weiterer Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen und unter Einbeziehung eines angebotenen pauschalen Preisnachlasses auf eine geprüfte Angebotssumme i.H.v. 28.99...

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