Entscheidungsstichwort (Thema)
BAB: Erd- u. Deckenbau IV
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Wahrung der Entscheidungsfrist des § 113 Abs. 1 GWB ist es ausreichend, wenn die Entscheidung der Vergabekammer vor Fristablauf vollständig abgesetzt und zur Geschäftsstelle gelangt ist. Hierfür ist nicht erforderlich, dass auch die Bekanntgabe der Entscheidung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten innerhalb der Entscheidungsfrist bereits bewirkt ist.
2. Die Anordnung der Fortsetzung der Ausschreibung mit dem Ziel einer Zuschlagserteilung kommt nicht nur bei irrtümlicher Aufhebung der Ausschreibung in Betracht, sondern auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber seine Absicht, die ausgeschriebene Leistung von Dritten zu beschaffen, unverändert aufrecht erhält und ihm tatsächlich kein sachlicher Grund, insb. kein Grund i.S.v. § 26 Nr. 1 VOB/A, für die Aufhebung zur Seite steht bzw. wenn die Aufhebung selbst im Falle des Vorliegens eines sachlichen Grundes nicht verhältnismäßig ist.
3. Eine unvollständige Dokumentation des Wertungsprozesses sowie der Grundlagen für die Entscheidung zur Aufhebung einer Ausschreibung kann zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Bieters führen, der geltend macht, dass die Aufhebungsgründe vorgeschoben oder manipuliert sind.
4. Zur Feststellung der Unverhältnismäßigkeit der Aufhebung einer Ausschreibung wegen der Besorgnis von Preiserhöhungen aufgrund verzögerter Auftragsvergabe.
Verfahrensgang
2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen 2 VK LVwA 17/06, 2 VK LVwA 11/06, 2 VK LVwA 14/06) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.5.2006, 2 VK LVwA 17/06, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antragsgegnerin statt der Wiederholung der Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Nachprüfungsinstanzen aufgegeben wird, den Zuschlag in diesem Vergabeverfahren bis zum 14.11.2006 zu erteilen auf das Hauptangebot der Antragstellerin zu 1).
Für den Fall der Nichterfüllung dieser Anweisung wird der Antragsgegnerin die Verhängung eines Zwangsgeldes bis zu einer Höhe von 500.000 EUR angedroht.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen beider Antragstellerinnen zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 436.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin, vertreten durch eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb Mitte März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt etwa bei mehr als 7,5 Mio. EUR.
In der Bekanntmachung der Ausschreibung ist als Ausführungszeitraum die Zeit vom 10.8.2005 bis zum 31.8.2007 angegeben (Ziff. II.3.). Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt werden aufgrund der in den Verdingungsunterlagen genannten Kriterien (Ziff. IV.2.). Die Verdingungsunterlagen enthalten unter Ziff. 9 der Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 7.4.2005 als maßgebende Kriterien für die Angebotswertung nachfolgende Aufzählung: "Preis, Betriebs- und Folgekosten, technischer Wert, Gestaltung" sowie besondere Anforderungen an Nebenangebote und Preisnachlässe.
Bis zum Ablauf der Angebotsfrist gaben sechs Unternehmen insgesamt sechs Haupt- und vier Nebenangebote ab. Ausweislich des Submissionsprotokolls vom 27.4.2005 reichte die Antragstellerin zu 1) das preislich zweitgünstigste Hauptangebot i.H.v. 8.899.207,28 EUR und die Antragstellerin zu 2) das viertgünstigste Hauptangebot i.H.v. 9.449.685,02 EUR ein.
Die Antragsgegnerin schloss die Angebote der preislich erstplatzierten und der drittplatzierten Bieterin jeweils wegen unzulässiger Preisverlagerungen in der ersten Wertungsstufe aus. Sie beabsichtigte zunächst, auch die Angebote der Antragstellerin zu 1) wegen angeblicher unzulässiger Preisverlagerungen nach §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) i.V.m. 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A von der weiteren Wertung auszuschließen. Später stützte sie ihre Ausschlussentscheidung vor allem auf eine unzureichende Mitwirkung an der Aufklärung der Preiskalkulation. Die Antragsgegnerin beabsichtigte weiter, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu 2) zu erteilen.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin zu 1) mit einer - erfolglosen - Rüge und mit einem - letztlich erfolgreichen - Nachprüfungsverfahren. Der erkennende Senat verpflichtete die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 22.9.2005, 1 Verg 8/05 (OLGReport Naumburg 2006, 50 = VergabeR 2005, 789), die Wertung der Angebote unter Einbeziehung des Hauptangeb...