Leitsatz (amtlich)

1. Der besondere Gerichtsstand des § 20 ZPO greift dann ein, wenn sich jemand an einem Ort unter Verhältnissen aufhält, die ihrer Natur nach auf einen Aufenthalt von längerer Dauer hinweisen. Hierzu zählt u.a. auch der Insasse einer Justizvollzugsanstalt bei einer länger andauernden Haft.

2. Für eine Zuständigkeitszuweisung nach § 20 ZPO ist allein entscheidend, dass bei Begründung des Aufenthalts dieser seiner Natur, d.h. seinen Umständen nach, auf eine längere Dauer hinweist. Ist dies der Fall, so ist die daran anschließende Verweildauer unerheblich.

3. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn die Verweisung einer ausreichenden Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich erscheint.

Die Grenze zwischen einer fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der rechtsgrundlosen Entscheidung ist jedenfalls dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm in den Gründen des Verweisungsbeschlusses gar nicht erörtert, diese Norm aber eindeutig seine Zuständigkeit begründet.

 

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau (Beschluss vom 09.02.2010; Aktenzeichen 4 O 280/09)

 

Tenor

Das LG Dessau-Roßlau wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die Erstattung außergerichtlicher Kosten richtet sich nach der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt den Beklagten aus nach § 116 SGB X übergeleitetem Recht wegen einer am 13.7.2003 in K. zum Nachteil ihres Versicherungsnehmers W. G. begangenen Körperverletzung auf Zahlung von Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

Sie hat zunächst einen Mahnbescheid gegen den Beklagten beantragt, der dem Beklagten unter der im Mahnbescheidsantrag angegebenen Anschrift in der Justizvollzugsanstalt Dessau zugestellt wurde. Als Gericht, vor dem das streitige Verfahren durchzuführen sei, führte die Klägerin in dem Mahnbescheidsantrag das LG Dessau-Roßlau an, an das das Verfahren nach Widerspruch des Beklagten abgegeben wurde. Die am 28.3.2007 bei dem LG Dessau-Roßlau eingegangene Anspruchsbegründung wurde dem Beklagten unter dem 4.4.2007 in der Justizvollzugsanstalt Dessau zugestellt.

Nachdem das LG auf Antrag beider Parteien wegen eines vor dem LG Neuruppin anhängigen Parallelprozesses zwischenzeitlich das Ruhen des Verfahrens angeordnet hatte und die Klägerin das Verfahren vor dem LG Dessau-Roßlau mit Schrift-satz vom 8.10.2008 wieder aufnahm, hat das LG Dessau-Roßlau die Parteien mit Verfügung vom 19.11.2008 auf Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Gerichts hingewiesen. Der Ort der unerlaubten Handlung habe sich nicht im Gerichtsbezirk des LG Dessau-Roßlau befunden und der Strafantritt in einer Strafanstalt bewirke keinen Wechsel des Wohnsitzes, so dass der Beklagte in Dessau auch nicht seinen allgemeinen Gerichtsstand habe.

Auf Antrag der Klägerin hat sich das LG Dessau-Roßlau - nach Gewährung rechtlichen Gehörs - mit Beschluss vom 19.2.2009 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Neuruppin verwiesen. Eine Begründung enthält der Verweisungsbeschluss nicht.

Das LG Neuruppin hat den Verweisungsbeschluss nicht für bindend erachtet, worauf es die Parteien mit Verfügung vom 4.3.2009 unter Gelegenheit zur Stellungnahme hinwies.

Mit Beschluss vom 27.3.2009 hat es daher die Übernahme des Rechtsstreites abgelehnt und den Rechtsstreit an das LG Dessau-Roßlau zurück verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Verweisungsbeschluss jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehre und daher willkürlich sei. Denn das LG Dessau-Roßlau habe sich in seinem Verweisungsbeschluss mit dem besonderen Gerichtsstand des Aufenthaltsortes nach § 20 ZPO nicht befasst und insoweit darüber hinweg gesetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreites nach § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetze.

Nachdem das LG Dessau-Roßlau das Verfahren zunächst weiter betrieb, Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmte und gegen den im Termin säumigen Beklagten ein Versäumnisurteil erließ, hat es sich sodann - auf die Zuständigkeitsrüge des Beklagten in dessen Einspruchsschrift hin - in dem am 9.2.2010 verkündeten Beschluss erneut für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem OLG Naumburg vorgelegt.

B.I. Die Vorlage des Rechtsstreites zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes ist im Rahmen eines negativen Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zulässig.

Das OLG Naumburg ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen. Denn die LG Neuruppin und Dessau-Roßlau sind in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken belegen und das LG Dessau-Roßlau war zuerst mit der Sache befasst.

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts liegen nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor, da sich sowohl das LG Dessau-Roßlau als auch anschließend das LG Neuruppin in unanfechtbaren Beschlüssen und damit rechtskräftig im Sinne der Vorschrift für unzuständig erklärt haben und ein Gericht f...

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