Leitsatz (amtlich)

1. Die nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO durch den Richter allein zur Vereitelung ansonsten sicher zu erwartender erheblicher disziplinarrechtlicher Sanktionen vorgenommenen Änderungen bzw. Ergänzungen von Urteilsfragmenten stellen einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege dar. Hieraus erwachsen den Verfahrensbeteiligten indes keine Vor- oder Nachteile i. S. d. § 339 StGB.

2. Der Verfolgung der mit der Änderung der Urteilsgründe einhergehenden Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 4 StGB steht die Sperrwirkung des § 339 StGB nicht entgegen, da es insofern an dem erforderlichen inneren funktionalen Zusammenhang zwischen der Urkundenfälschung und der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache fehlt.

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts A. vom 09. Dezember 2011 aufgehoben.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft A. vom 02. Dezember 2008 wird zur Hauptverhandlung zugelassen.

Das Hauptverfahren wird vor dem Landgericht B. - große Strafkammer - eröffnet.

In der Hauptverhandlung ist die Strafkammer mit drei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt.

 

Gründe

I. Mit der Anklageschrift vom 02. Dezember 2008 (301 Js 23234/07) wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, in der Zeit vom 01. April 2005 bis zum 03. August 2007 in fünf Fällen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung, dabei die Befugnisse oder die Stellung eines Amtsträgers missbraucht, und in einem Fall auch in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt begangen zu haben (Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 258 Abs. 2, 258a Abs. 1, 267 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 4, 339, 52, 53 StGB), indem er jeweils entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe änderte oder ergänzte und hierzu in einem Fall die Akten zur Vollstreckung der im rechtskräftigen Urteil gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe über mindestens neun Monate nicht zur Verfügung stellte.

Mit Beschluss vom 09. Dezember 2011 (6 KLs 301 Js 23234/07) hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts A. die Anklage der Staatsanwaltschaft A. vom 02. Dezember 2008 aus rechtlichen Gründen nicht zugelassen.

Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer am 13. Dezember 2011 eingelegten und mit Verfügung vom 22. Dezember 2011 begründeten sofortigen Beschwerde.

II. Das gemäß §§ 210 Abs. 2, 311 StPO zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1. Das Landgericht hat zu Unrecht die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung abgelehnt. Nach § 203 StPO ist die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig ist. Das ist der Fall, wenn bei einer vorläufigen Tatbewertung seine Verurteilung wahrscheinlich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 203 Rn. 2).

Allerdings hat der Angeschuldigte in den ihm mit Anklageschrift vom 02. Dezember 2008 zur Last gelegten Sachverhalten auch nach Auffassung des Senats nicht das Recht zugunsten oder zum Nachteil einer Partei gebeugt. Er ist jedoch der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, gemäß §§ 258 Abs. 2, 258a Abs. 1, 267 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 4, 52, 53 StGB hinreichend verdächtig.

a) Die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Änderungen bzw. Ergänzungen der unvollständig in den Geschäftsgang gegebenen Urteile nach Ablauf der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO normierten Frist stellen sich nicht als Beugung des Rechts i. S. d. § 339 StGB dar.

Zwar hat der Angeschuldigte als Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache i. S. d. § 339 StGB, d. h. bei einer selbständigen und übergeordneten Stellung und Tätigkeit bei der Rechtsanwendung, gehandelt. Der vom Begriff der Leitung umfasste Bereich richterlicher Tätigkeit beurteilt sich dabei nicht nach den einzelnen Maßnahmen, sondern nach der Natur des Verfahrens in seiner Gesamtheit und in seinem Endziel. Leitung der Rechtssache ist daher der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache hinzielen (vgl. hierzu BGHSt 12, 191, 192; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09. Dezember 2003 - 3 Ws 174/03).

Die Urteilsabsetzung ist eine Maßnahme, die auf die Erledigung der Sache hinzielt, und somit vom Schutzbereich des § 339 StGB umfasst.

Die nach der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO normierten Frist durch den Angeschuldigten vorgenommenen Urteilsänderungen stellen auch einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege i. S. d. § 339 StGB dar.

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand der Rechtsbeugung nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden dürfe. Zweck der Vorschrift sei es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziere die Schwere des Unwerturteils und führe in ...

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