Leitsatz (amtlich)

1. Der Gegenstandswert eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer gem. § 23 Abs. 1 S. 3 RVG i.V.m. § 50 Abs. 2 GKG ist regelmäßig nach der Bruttoangebotssumme des Angebotes des jeweiligen Antragstellers zu bemessen.

Wenn aber eine solche Bruttoangebotssumme nicht festgestellt werden kann, weil der Bieter, der den Nachprüfungsantrag stellt, nie ein Angebot abgegeben hat, ist auf den objektiven Wert des ausgeschriebenen Auftrags abzustellen. Dies ist insbesondere bei einer behaupteten "de-facto-Vergabe" der Fall.

2. Bei Beschwerden gegen die von den Vergabekammern festgesetzten Gebühren hat der Senat bisher die Vorschriften der ZPO, insbesondere § 97 ZPO, analog angewandt.

Der Senat hält hieran jedenfalls in solchen Fällen, in denen sich die Beschwerde ausschließlich auf die Bemessung des Streitwertes erstreckt und weder die Kostengrundentscheidung angegriffen noch eine konkrete Gebührenfestsetzung begehrt wird, nicht länger fest. Für eine solche Streitwertbeschwerde gilt § 68 Abs. 3 GKG analog.

 

Verfahrensgang

1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt LSA (Beschluss vom 10.12.2009; Aktenzeichen 1 VK LVwA 19/09)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 10.12.2009 - unter Aufrechterhaltung im Übrigen - hinsichtlich der Entscheidung über die Höhe der Kosten (Ziff. 3 des Beschlusstenors vom 10.12.2009) aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an die Vergabekammer zur erneuten Prüfung und Festsetzung der Gebühren und Auslagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Streitwertbeschwerde ergeht gebührenfrei.

Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin, ein Unternehmen der privaten Entsorgungswirtschaft, das einem bundesweit agierenden Entsorgungskonzern angehört, hat mit dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren Ansprüche wegen einer sog. "De-facto-Vergabe" geltend gemacht.

Die Antragsgegnerin ist mit der Entsorgung des Hausmülls im Landkreis M. beauftragt. 51 % der Gesellschaftsanteile der Antragsgegnerin wurden ursprünglich von der E. GmbH (im Folgenden kurz: E.) gehalten, deren alleiniger Gesellschafter der Landkreis M. ist. Inzwischen wurden die Gesellschaftsanteile an die R. mbH (im Folgenden kurz: R.) veräußert.

Die Antragsgegnerin betreibt u.a. eine Müllaufbereitungsanlage, in der auch die im Landkreis M. erfassten Abfälle zu Ersatzbrennstoffen verarbeitet werden. Diese Ersatzbrennstoffe werden in thermischen Restabfallbehandlungsanlagen gegen Entgelt verbrannt.

Nachdem ein vorausgehender Vertrag über die Bindung von Anlagekapazitäten bei der R. aufgehoben worden war, schloss die Antragsgegnerin mit der R. am 18.8.2008 einen Vertrag, der die Pacht einer Verbrennungseinheit ("Kessel 6") zum Gegenstand hatte, der unabhängig von den vertraglichen Verpflichtungen von der Verpächterin errichtet werden sollte. Mit verpachtet wurden die zum Betrieb erforderlichen technischen Anlagen und Betriebsvorrichtungen, einschließlich der Grundstücksflächen, auf denen der Kessel sich befindet. Für die Nutzung des Pachtgegenstandes zahlt die Antragsgegnerin gem. § 5 des Pachtvertrages eine "jährliche feste Pacht" i.H.v. 4.394.400 EUR.

Zur Pachtdauer enthält § 9 des Vertrages folgende Regelung:

"1. Der Pachtvertrag tritt am 1.7.2009 in Kraft und hat eine Laufzeit von 15 Jahren.

2. Die Parteien vereinbaren, im 14. Jahr der Laufzeit dieses Vertrages in Verhandlungen zu treten hinsichtlich einer möglichen Verlängerung des Vertrages.

3. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt."

Mit Schreiben vom 10.3.2009 rügte die Antragstellerin ggü. der Antragsgegnerin den zwischen ihr und der R. geschlossenen Pachtvertrag als vergaberechtswidrig und forderte die Antragsgegnerin auf, ihn zu beenden. Nachdem die Antragsgegnerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 9.4.2009 einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer. Sie hat die Ansicht vertreten, die Antragsgegnerin sei öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB. Mit dem streitgegenständlichen Pachtvertrag habe die Antragsgegnerin ein Beschaffungsinteresse befriedigt und die vergaberechtlich gebotene öffentliche Ausschreibung der Leistung umgangen.

Die Antragstellerin hat im Nachprüfungsverfahren beantragt, festzustellen, dass der im August 2008 abgeschlossene Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Firma R. mbH nichtig ist, und die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein geregeltes Vergabeverfahren durchzuführen.

Die Antragsgegnerin hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig angesehen. Weder sei sie als öffentlicher Auftraggeber tätig geworden, noch handele es sich bei dem abgeschlossenen Pachtvertrag um einen ausschreibungspflichtigen Vorgang. Vielmehr er-

fülle der von der Antragstellerin angegriffene Vertrag den Aus...

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