Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeugenvernehmung eines minderjährigen Kindes gegen seine Mutter
Leitsatz (amtlich)
Soll ein minderjähriges Kind als Zeuge gegen seine Mutter vernommen werden und hat das Kind (hier 13 Jahre) noch nicht die erforderliche Verstandesreife, um die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts zu erkennen, muss der gesetzliche Vertreter zustimmen.
Ist die Mutter Inhaberin der elterlichen Sorge, muss ein Ergänzungspfleger bestimmt werden (so auch BGH NJW 1960, 1396).
Normenkette
BGB § 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1; StPO § 52 Abs. 2, § 161a
Verfahrensgang
AG Dessau (Beschluss vom 08.04.2005; Aktenzeichen 3 F 99/05) |
Tenor
1. Auf die befristete Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem LG Dessau wird der Beschluss des AG - VormG - Dessau vom 8.4.2005 - 3 F 99/05, aufgehoben und die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft für das minderjährige Kind S. B. mit dem Aufgabenkreis Zustimmung zur Aussage im Ermittlungsverfahren gegen die Kindesmutter, Az.: 436 Js 1360/05 StA Dessau, und zur Geltendmachung eines Zeugnisverweigerungsrechtes angeordnet.
Zum Ergänzungspfleger wird das Jugendamt der Stadt Dessau bestimmt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die gem. den §§ 621 Abs. 1 S. 1, 621a Abs. 1 Nr. 1, 621e ZPO statthafte und zulässige befristete Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem LG Dessau gegen den Beschluss des AG - VormG - Dessau vom 8.4.2005 (Bl. 10/11 d.A.), auf Grund dessen die Anordnung der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft für das minderjährige Kind S. B. mit dem Aufgabenkreis Zustimmung zur Aussage im Ermittlungsverfahren gegen seine Mutter und zur Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechtes, zurückgewiesen worden ist, hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Statthaftigkeit der befristeten Beschwerde nach § 621e ZPO ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der erstrebten Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft um einen Eingriff in die elterliche Sorge nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handelt. Überdies ist die Staatsanwaltschaft als mit ihrem Gesuch erstinstanzlich unterlegene Antragstellerin auch gem. § 20 Abs. 2 FGG i.V.m. den §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621a Abs. 1 S. 1 ZPO beschwerdebefugt.
2. Überdies ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch begründet.
Gemäß § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB ist hier eine Ergänzungspflegschaft mit dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Wirkungskreis anzuordnen.
a) Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, das minderjährige Kind im Ermittlungsverfahren gegen seine Mutter als Zeugen zu vernehmen (§ 161a Abs. 1 StPO). Nach § 161a Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht dem Kind in diesem Verfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Da der Junge erst 13 Jahre alt ist, hat die zu vernehmende Stelle deshalb zu prüfen, ob der Minderjährige die erforderliche Verstandesreife besitzt, um die Bedeutung und Tragweite des Zeugnisverweigerungsrechtes zu erkennen. Ist dies nicht der Fall, darf das Kind nur dann vernommen werden, wenn es zur Aussage bereit ist und sein gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt, § 52 Abs. 2 S. 1 StPO.
Da die Kindesmutter offenkundig das Sorgerecht nach § 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB für das vormals in ihrer Obhut lebende minderjährige Kind ausgeübt hat, ist sie, ebenso wie der möglicherweise noch vorhandene, andere mitsorgeberechtigte Elternteil, von der gesetzlichen Vertretung des Jungen bei der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, § 52 Abs. 2 S. 2 StPO.
Will also das Kind aussagen und fehlt ihm die erforderliche Einsicht in die Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechtes, bedarf es demzufolge bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes eines Ergänzungspflegers. Diesbezüglich ist jedoch anerkannt (BGH NJW 1960, 1396; OLG Stuttgart v. 26.7.1985 - 8 W 253/85, MDR 1986, 58 = FamRZ 1985, 1154; BayObLG v. 7.8.1997 - 1Z BR 146/97, BayObLGReport 1998, 23 = FamRZ 1998, 257; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl. 2005, § 1909 Rz. 7, m.w.N.), dass die Entscheidung darüber, ob der minderjährige Zeuge bereits die notwendige Verstandesreife besitzt, um die Bedeutung und Tragweite seines Rechtes zu erfassen, vom Ermittlungsrichter oder dem im Ermittlungsverfahren vernehmenden Staatsanwalt getroffen werden muss. Denn diese Behörden haben über die Zeugenaussage im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren zu befinden, und das VormG ist an deren Entscheidung über die Frage der Verstandesreife des Zeugen gebunden (BayObLG v. 7.8.1997 - 1Z BR 146/97, BayObLGReport 1998, 23 = FamRZ 1998, 257; OLG Stuttgart v. 26.7.1985 - 8 W 253/85, MDR 1986, 58 = FamRZ 1985, 1154).
b) Das VormG durfte im Entscheidungsfall auf Grund der eigenen Strafanzeigeerstattung des Kindes von dessen grundsätzlicher Aussagebereitschaft ausgehen.
Überdies haben sowohl der zuständige Staatsanwalt als auch der Ermittlungsrichter, welcher die Vernehmung des minderjährigen Zeugen d...