Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsberater I

 

Leitsatz (amtlich)

1. Veröffentlicht die Vergabestelle im Supplement zum Amtsblatt der EG, im Ausschreibungsanzeiger des Landes und in den Verdingungsunterlagen unterschiedliche Anforderungen an die Eignungsnachweise, ist für die Frage, welche Eignungsnachweise obligatorisch vorzulegen sind, auf den Inhalt der EU-weiten Vergabebekanntmachung abzustellen.

2. Die Mitwirkung eines Sachverständigen bzw. eines Beraters der Vergabestelle darf die Grenze der bloßen Unterstützung nicht überschreiten. Die Entscheidungen im Vergabeverfahren, insb. diejenigen Entscheidungen, bei denen die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraumes bzw. eine Ermessensausübung notwendig sind, sind von der Vergabestelle selbst zu treffen, § 2 Nr. 3 VOL/A.

Hat die Vergabestelle ursprünglich die Hinzuziehung externen Sachverstandes für die Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung für erforderlich erachtet, so liegt eine eigenverantwortliche Entscheidung der Vergabestelle regelmäßig nur dann vor, wenn sie durch den Sachverständigen bzw. Berater objektiv zutreffend und nachvollziehbar über die Entscheidungsgrundlagen aufgeklärt wurde.

3. Die Mitwirkung des Versicherungsberaters verstößt gegen § 6 Nr. 3 VOL/A analog, wenn der Berater ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Gestaltung und am Ausgang des Vergabeverfahrens hat, z.B. dadurch, dass zwischen der Vergabestelle und dem Berater ein erfolgsabhängiges Honorar bzw. Provisionszahlungen vereinbart worden sind. Dies gilt insb. dann, wenn der Maßstab für die zu honorierenden Leistungen, z.B. das Volumen der erreichten Kosteneinsparungen, vom Maßstab des Vergabeverfahrens (wirtschaftlich günstigstes Angebot unter Berücksichtigung mehrerer Zuschlagkriterien) abweicht.

4. Nach § 17 Nr. 6 VOL/A sind Anfragen der Bewerber um sachdienliche Auskünfte unverzüglich und sachlich zutreffend zu beantworten; unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes sind die Antworten jeweils allen Bewerbern zugänglich zu machen.

5. Die Versagung der Antragsbefugnis kann grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass der Bieter einen bei der Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags geforderten Eignungsnachweis nicht vorgelegt hat, wenn die Vergabestelle selbst keine entsprechende Ausschlussentscheidung getroffen hat.

6. Für die Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde ist § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO n.F. entsprechend anzuwenden.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Halle (Beschluss vom 10.11.2003; Aktenzeichen VK Hal 20/03)

 

Tenor

Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Halle vom 10.11.2003, VK Hal 20/03, aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

1. Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin und von Amts wegen wird der Antragsgegnerin aufgegeben, das Vergabeverfahren aufzuheben.

2. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu tragen.

3. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigter durch die Antragstellerin war notwendig.

4. Die Gesamtkosten (Gebühren und Auslagen) belaufen sich auf 2.999,92 Euro.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, eine kommunale Gebietskörperschaft, schrieb im April 2003 die Vergabe von Sachversicherungsverträgen, beginnend jeweils am 1.1.2004, EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) - Ausgabe 2002 - aus. Für die Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens bediente sie sich eines Versicherungsberaters, der auch die Prüfung und Auswertung der Angebote vornahm und der Antragsgegnerin Vergabevorschläge unterbreitete.

Die Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgte u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 9.4.2003 (künftig: Supplement) sowie im Ausschreibungsanzeiger des Landes Sachsen-Anhalt vom 11.4.2003 (künftig: Ausschreibungsanzeiger). Hinsichtlich der geforderten Eignungsnachweise werden im Supplement unter Ziff. 14 die Erlaubnis zum Betrieb der Schadenversicherung nach §§ 5 ff. VAG, ein aktueller Geschäftsbericht, der Nachweis der Rückversicherung und Referenzen für vergleichbare Leistungen in den letzten drei Jahren aufgeführt; im Ausschreibungsanzeiger fehlt unter Ziff. III.2.1. ff. die Ankündigung der Forderung von Referenzen. Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlich günstigste Angebot unter Berücksichtigung der Kriterien Angebotspreis, Vertragsumfang und Servicedienstleistungen erteilt werden (vgl. Ziff. 16 Supplement, Ziff. IV.2. Ausschreibungsanzeiger); im Supplement ist hierbei der Hinweis angefügt, dass die Kriterien in der Reihenfolge ihrer Priorität aufgeführt sind. Entsprechend Ziff. 6 Supplement und Ziff. II.1.10. Ausschreibungsanzeiger waren Nebenangebote und Änderungsvorschläge e...

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