Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch durch den abgelehnten Richter selbst (sog. Selbstentscheidung) setzt voraus, dass es sich um eine echte Formalentscheidung handelt, bei der jedes inhaltliche Eingehen auf den Verfahrensgegenstand entbehrlich ist. Demgegenüber liegen die Voraussetzungen dafür bei einem "offensichtlich unbegründeten" Ablehnungsgesuch nie vor, weil eine Entscheidung unter Mitwirkung des Abgelehnten nie eine sachliche Bewertung des eigenen Verhaltens enthalten darf.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Beschluss vom 19.04.2013; Aktenzeichen 4 O 24/13) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Halle vom 19.4.2013 - 4 O 24/13 - abgeändert.
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 15.4.2013 gegen Richter am LG Hamm wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des LG Halle hatte durch Verfügung vom 29.1.2013 das schriftliche Vorverfahren angeordnet und eine Frist zur Klageerwiderung von zwei Wochen gesetzt. Mit Schriftsatz vom 27.2.2013 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragt, die Frist zur Klageerwiderung um drei Wochen zu verlängern und zur Begründung ausgeführt, sie seien erst kürzlich mandatiert worden; nach Eingang der Schadensunterlagen und deren Aufarbeitung seien noch Rücksprachen und Recherchen notwendig, welche bislang nicht vorgenommen werden konnten. Diesen Fristverlängerungsantrag hat der Einzelrichter durch Verfügung vom 28.2.2013 mit der Begründung abgelehnt, erhebliche Gründe für eine Fristverlängerung seien nicht vorgebracht worden. Nach der Begründung habe wegen der späten Mandatierung eine Stellungnahme nicht erarbeitet werden können. Bereits mit der Klagezustellung sei die Beklagte jedoch darauf hingewiesen worden, dass ein Rechtsanwalt angemessene Zeit für die Bearbeitung der Sache benötige. Wenn sie dessen Beauftragung verzögert habe, bestehe kein erheblicher Grund für eine Fristverlängerung.
Die Beklagte hat daraufhin gegen den Einzelrichter der 4. Zivilkammer am 5.3.2013 ein Ablehnungsgesuch angebracht, welches sie darauf gestützt hatte, die Begründung für die Ablehnung ihres erstmaligen Fristverlängerungsgesuchs sei nicht vertretbar. Der Fristverlängerungsantrag sei nicht auf eine späte Mandatierung gestützt worden, sondern auf die Notwendigkeit weiterer Recherchen, was schon daran deutlich werde, dass die Frist zur Verteidigungsanzeige eingehalten worden sei. Schon deswegen, aber auch weil ihr nicht die Gelegenheit zur Substantiierung der Gründe für den Fristverlängerungsantrag gegeben worden sei, sei zu befürchten, dass ihr der Richter nicht mit der gebotenen Neutralität begegnen werde.
Durch Verfügung vom 6.3.2013 hat der abgelehnte Richter Termin zur mündlichen Verhandlung für den 18.4.2013 anberaumt.
Durch Beschluss vom 21.3.2013 hat der abgelehnte Einzelrichter das Ablehnungs-gesuch der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Ablehnungsgesuch erfolge ohne eine im Ansatz tragende Begründung und belege damit allein den prozesstaktischen Zweck, durch die erwartbare Dauer der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch die Wirkungen der Fristversäumnis zu vermeiden und den angesetzten Verhandlungstermin zu verhindern. Über solche unzulässigen, manipulativen Ablehnungsanträge entscheide der Einzelrichter selbst. Ein Ablehnungsgrund liege nicht vor. Die Verfahrensleitung durch einen Richter könne allenfalls dann einen Grund für eine Ablehnung sein, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters so grob fehlerhaft sei, dass sich der Anschein der Voreingenommenheit geradezu aufdrängen müsse. Solche Umstände seien nicht ansatzweise ersichtlich. Es erschließe sich bereits nicht, weshalb eine einzelne abschlägige Entscheidung über einen Fristverlängerungsantrag auf Willkür oder eine sachwidrige Voreingenommenheit des Richters hindeuten solle. § 224 Abs. 2 ZPO fordere für eine Fristverlängerung erhebliche Gründe. Der Richter habe die mitgeteilten Gründe nicht für erheblich gehalten. Die Begründung für das Ablehnungsgesuch befasse sich allein mit dem vermeintlichen Verfahrensfehler, ohne darzustellen, weshalb einer der Ausnahmefälle vorliege, in denen die Ablehnung gerechtfertigt sei.
Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt und den Richter zugleich erneut wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dieses zweite Ablehnungsgesuch stützt sie darauf, der Richter habe zu Unrecht selbst über das Ablehnungsgesuch entschieden, denn dieses sei jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Das Ablehnungsgesuch sei aber auch in der Sache begründet gewesen, da eine Zurückweisung des Fristverlängerungsgesuchs nicht zutreffend zu begründen gewesen sei. Die vom Gericht genannten Gründe seien "erfunden", die angegebenen Gründe seien nicht beschieden worden. Es sei nicht dargelegt worden, dass die Klageerwiderung wegen einer spä...