Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Auslegung des § 110 Abs. 1 GWB; Feststellungen von Amts wegen zu Vergabeverstößen durch die Vergabekammer
Verfahrensgang
2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 18.12.2009; Aktenzeichen VK 2 LVwA LSA-30/09) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 18.12.2009 (VK 2 LVwA LSA-30/09) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin trägt die Beigeladene. Die Antragsgegnerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 127.330 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin (i.F. Vergabestelle) schrieb im offenen Verfahren einen Dienstleistungsauftrag europaweit aus. Gegenstand des Auftrages war die Sammlung, der Transport und die Verwertung von Altpapier im Landkreis S.. Die Ausschreibung gliederte sich in zwei Lose, für die einzeln oder zusammen Angebote abgegeben werden konnten. Der Vertrag sollte eine Laufzeit (ohne Option) vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2013 haben. Unter IV 2.1 heißt es (Bl 141 I):
Zuschlagskriterium: Niedrigster Preis
Unter III 2.1 (Bl. 139) verlangte die Vergabestelle eine
Bestätigung der Krankenkasse(n), bei der/bei denen Mietarbeiter des Bieters versichert sind, dass der Bieter seinen Pflicht (en) zur regelmäßigen Zahlung nachkommt.
Erklärungen und Nachweise konnten sowohl im Original als auch in Kopie vorgelegt werden. Die Vergabestelle behielt sich die Nachforderung von Originalen vor. Die Angebote hatten bis zum 25.9.2009, 9.00 Uhr bei der Vergabestelle einzugehen (IV 3.4 - Bl. 141 I). Die Frist wurde später mit der 3. Bieterinformation vom 24.9.2009 (dort unter II) bis zum 2.10.2009 verlängert.
In Nr. 9 der Bewerbungsbedingungen heißt es (u.a.):
Das Angebot ist mit allen nach den Vergabe- und Verdingungsbedingungen erforderlichen Unterlagen im Original und mit 2 Kopien einzureichen bis zum ... (Bl. 149 I)
Die Angebote müssen deutlich gekennzeichnet sein mit der Aufschrift Angebotsunterlagen - nicht öffnen! Angebot an die ALS-Dienstleistungsgesellschaft m. b. H "Altpapier" (Bl. 150 I)
Es ist zu versichern, dass die jeweiligen Kopien mit dem Original identisch sind. Bei Abweichungen ist das Original maßgeblich.
In 10.1 der Bewerbungsbedingungen heißt es u.a. (Bl. 151 I):
Die Vergabestelle bittet, das in den Vergabeunterlagen enthaltene Angebotsschreiben (Teil III) genau durchzusehen und dem Angebot möglichst die gem. Nr. 10.2 geforderten Unterlagen beizufügen.
Die Vergabestelle behält sich vor, Nachweise und Erklärungen, die mangels Kalkulationserheblichkeit keinen Einfluss auf die Wettbewerbsstellung des Bieters haben, nachzufordern, falls diese dem Angebot nicht beigefügt sind. Insoweit erachtet die Vergabestelle die unter 10.2 abgefragten Nachweise und Erklärungen bis auf die Versicherungsbestätigung (s. dazu unter Nr. 10.2) nicht als kalkulationsrelevant.
Unter 10.2 2. der Bewerbungsbedingungen heißt es dann (Bl. 152 I):
Bestätigung der Krankenkasse(n), bei der/bei denen Mitarbeiter des Bieters versichert sind, dass der Bieter seiner Pflicht zur regelmäßigen Zahlung von Beiträgen nachkommt.
In der Bieterinformation 1 vom 16.9.2009 hat die Vergabestelle zu den Nachweisen über regelmäßige Zahlungen von Krankenkassenbeiträgen unter I.2 erläutert:
Dazu ist festzuhalten, dass der Formulierung bereits entnommen werden kann, dass es sich um Bestätigungen der, also sämtlicher Krankassen handelt, bei denen Mitarbeiter des Bieters versichert sind. Es reicht also gerade nicht die Bestätigung nur einer oder einiger Krankenkassen.
Teil III der Angebotsschreiben für die Lose 1 und 2 enthält unter II.1. a (Los 1) bzw. II.2. a (Los 2) jeweils eine Preisgleitklausel. Dazu hat die Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 24.9.2009 (Bl. 48 BA) ausgeführt, dass die Preisgleitklauseln ein unkalkulierbares Risiko für Bieter birgt, was wir hiermit ausdrücklich rügen ...
Die Antragstellerin hat insgesamt 12 Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Krankenversicherungen über die Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen für Mitarbeiter (gemäß
10.2.2 Bewerbungsbedingungen) vorgelegt. Lediglich 3 Krankenkassen
haben die Anzahl der bei ihr versicherten Mitarbeiter angegeben. Unstreitig hat die Antragstellerin im Jahre 2008 rund 50 Mitarbeiter beschäftigt. Die Beigeladene hat 4 Bescheinigungen vorgelegt, wobei sich aus 3 Bescheinigungen
... 25 Arbeitnehmer
... 11 Arbeitnehmer
... 14 Arbeitnehmer
die Anzahl der versicherten Beschäftigten ergibt. Unstreitig beschäftigte die Beigeladene im Jahre 2008 rund 100 Mitarbeiter.
Insgesamt gingen bei der Vergabestelle 7 Angebote ein. In der Niederschrift zur Angebotsöffnung ist vermerkt, dass alle 7 Angebote ordnungsgemäß verschlossen und äußerlich gekennzeichnet (§ 22 Nr. 3 lit. a VOL/A) und 6 Angebote bis zum Ablauf der Angebotsfrist eingegangen waren (§ 22 Nr. 3 lit. b VOL/B). Auch das 7. - nach Ablauf...