Leitsatz (amtlich)

Ergibt sich der Grund zur Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt eines schriftlichen Gutachtens, so läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen regelmäßig gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab.

Bei der Auseinandersetzung mit einem Privatgutachter ist entscheidend, ob sich die Äußerungen des Sachverständigen noch im Bereich der sachlichen Auseinandersetzung halten oder bereits die Grenze zu einer persönlichen Herabsetzung überschritten wird (hier: verneint für die Äußerungen "parteiliche Fokussierung" und "plakative Betrachtungen" sowie den Hinweis auf die Emeritierung des Privatgutachters).

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Beschluss vom 28.12.2011; Aktenzeichen 6 O 160/09)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. J. zurückweisenden Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Halle vom 28.12.2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.700 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin und Antragstellerin, vertreten durch ihre Eltern, wirft den Beklagten Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Behandlung nach ihrer Frühgeburt vor.

Das LG hat mit Beschluss vom 17.11.2010 die ergänzende Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. J. angeordnet. Dieser reichte bei Gericht am 1.8.2011 ein schriftliches Gutachten ein, welches dem Vertreter der Klägerin mit einer Stellungnahmefrist von sechs Wochen am 9.8.2011 übersandt wurde. Nach einer gerichtlichen Fristverlängerung bis 20.10.2011 stellte die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.10.2011 gegen den Sachverständigen einen Befangenheitsantrag (Bl. 3 Befangenheitsheft). Zur Begründung ihres Gesuchs führt die Klägerin aus, die Ausführungen des Sachverständigen seien ab Seite 7 des Gutachtens nicht mehr neutral. Der Sachverständige unterstelle Vorgänge und medizinische Abläufe, ohne sie benennen oder verobjektivieren zu können. Insbesondere die Äußerung, es spreche nichts dafür, dass die pCO2-Werte aus Fahrlässigkeit niedrig gehalten worden seien, sondern vielmehr vieles dafür spreche, dass die Vorgehensweise Resultat einer Abwägung gewesen sei, erwecke den Anschein der Befangenheit, weil diese Äußerung weder in den Behandlungsunterlagen noch im unstreitigen Sachverhalt ihre Stütze finde. Außerdem blende er wichtige Fragestellungen völlig aus, wie die Problematik des Übernahmeverschuldens, die Frage des medizinischen Standards einer Überbeatmung im Jahr 1994 sowie den Grundsatz der schonendsten Behandlung. Stattdessen habe er inhaltlich nicht objektivierbare Spekulationen geliefert. Der Umstand, dass er dem Gutachter der Klägerin, Prof. Dr. P. eine "parteiliche Fokussierung" und "plakative" Betrachtungen unterstelle sowie die Äußerung, Prof. Dr. P. sei bereits seit dem Jahr 2005 emeritiert, untermauerten die Zweifel an der Unabhängigkeit des Sachverständigen. Inhaltliche Spekulationen des Sachverständigen im gesamten Gutachten begünstigten die Beklagten.

Mit Beschluss vom 28.12.2011 hat das LG den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Gegen diesen, der Klägerin am 5.1.2012 zugestellten Beschluss richtet sich ihre sofortige Beschwerde vom 17.1.2012, mit der sie ihre Ausführungen aus dem Befangenheitsgesuch vertieft und insbesondere herausstellt, der Sachverständige betreibe durch die angegriffenen Äußerungen Kollegenschutz, der die Beklagten begünstige. Dass sich der Sachverständige nicht zum Übernahmeverschulden äußere, stelle eine selektive Begutachtung dar, die ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit begründe.

Das LG hat der Beschwerde mit Beschluss vom 25.1.2012 nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die gem. §§ 406 Abs. 5, 2. HS. ZPO i.V.m. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des LG Halle vom 28.12.2011, mit dem die zuständige Kammer das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 20.10.2011 für unbegründet erklärt hat, hat keinen Erfolg. Das LG hat das gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen gerichtete Ablehnungsgesuch der Klägerin zu Recht für unbegründet erachtet. Auch das Beschwerdevorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

1. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin, das innerhalb der der Klägerin gesetzten Frist zur Stellungnahme zum Gutachten zu den Akten gebracht wurde, ist nicht nach §§ 406, 43 ZPO präkludiert. Ergibt sich der Grund zur Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt eines schriftlichen Gutachtens, so läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen regelmäßig gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab, innerhalb derer sich die Partei mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muss (BGH, Beschl. v. 15.9.2005, NJW 2005, 1869).

2. Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen,...

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