Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Verbringen eines minderjährigen Kindes in einen anderen Staat ohne Zustimmung des anderen Elternteils bei gemeinsamer Sorge
Leitsatz (amtlich)
Bei gemeinsamer Sorge ist das Verbringen eines minderjährigen Kindes ohne Zustimmung des anderen Elternteils in einen anderen Staat nicht zulässig. Wird innerhalb eines Jahres der Antrag auf Rückführung gestellt, ist ihm grundsätzlich zu entsprechen.
Hat ein Gericht im ursprünglichen Aufenthaltsland des Kindes in jüngerer Zeit dem dort verbleibenden Elternteil ein Umgangsrecht zugesprochen ist im Regelfall kein Raum, um nach § 13 HKÜ eine Rückführung zu untersagen.
Normenkette
HKiEntÜ Art. 12; HKiEntÜ Art. 13
Verfahrensgang
AG Naumburg (Beschluss vom 25.10.2006; Aktenzeichen 3 F 388/06) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Verfahrenspflegers der Kinder und der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des AG - FamG - Naumburg vom 25.10.2006 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Geschäftswert des erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Verfahrens beträgt 3.000 EUR.
Gründe
I. Das (am 13.10.1998 geborene) Kind T. und das (am 19.6.2000 geborene) Kind K. im sind aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Beteiligten zu 1 und 2 hervorgegangen. Am 22.8.2000 haben die Beteiligten zu 1 und 2 die Ehe geschlossen. Am 16.1.2004 ist die Ehe in den Niederlanden geschieden und die vom Beteiligten zu 1 begehrte Umgangsregelung vom niederländischen Gericht einer späteren Entscheidung vorbehalten worden. Der Gerichtsbeschluss ist am 21.4.2004 in die Zivilstandsregister eingetragen und die Beteiligten sind gemeinsam mit der elterlichen Sorge "beauftragt" worden (Gerechtshof NL-Herzogenbusch, Entscheidung v. 19.4.2006). Anschließend ist das Umgangsrecht des Beteiligten zu 1 mit den - in der alleinigen Obhut der Beteiligten zu 2 verbliebenen - Kindern geregelt worden (Rechtsbank NL-Herzogenbusch, Entscheidung v. 27.2.2004). Im Dezember 2005 ist die Beteiligte zu 2 ohne Rücksprache und Zustimmung des Beteiligten zu 1 mit den Kindern nach Deutschland verzogen (Gerechtshof NL-Herzogen-busch, Entscheidung v. 19.4.2006).
Am 12.9.2006 hat der in den Niederlanden wohnende Beteiligte zu 1 beim AG - FamG - Naumburg den Antrag eingereicht, auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) die Rückgabe der Kinder anzuordnen. Nach persönlicher Anhörung der Kinder hat das FamG die Beteiligte zu 2 verpflichtet, die Kinder innerhalb einer Woche nach Rechtskraft seines Beschlusses zurückzuführen. Die Entscheidung nebst Nebenentscheidungen ist dem Verfahrenspfleger der Kinder am 1.11.2006 und der Beteiligten zu 2 am 2.11.2006 zugestellt worden. Die sofortigen Beschwerden des Verfahrenspflegers und der Beteiligten zu 2 sind am 7. bzw. 15.11.2006 beim Senat eingegangen.
II.1. Die zulässigen sofortigen Beschwerden des Verfahrenspflegers der Kinder - der als gesetzlicher Interessenvertreter der Kinder handelt (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 50 Rz. 9, 15 ff.) - und der Beteiligten zu 2 (§ 40 Abs. 2 S. 2, 3 IntFamRVG) sind im Ergebnis nicht begründet. Denn nach Art. 11 der EG-Verordnung Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 (Brüssel-IIa-VO) i.V.m. Art. 12 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) hatte das FamG die sofortige Rückgabe der Kinder anzuordnen:
a) Als die Kinder im Dezember 2005 in die Bundesrepublik Deutschland verbracht wurden, sind die in der Bundesrepublik Deutschland am 1.3.2005 in Kraft getretene Brüssel-IIa-VO und das am 1.12.1990 in Kraft getretene HKÜ auch in den Niederlanden in Kraft gewesen. Die Brüssel-IIa-VO und das HKÜ gelten auch für die betroffenen Kinder. Denn das (am 13.10.1998 geborene) Kind T. und das (am 19.6.2000 geborene) Kind K. haben unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechtes des Beteiligten zu 1 oder seines Rechts zum persönlichen Umgang ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden gehabt und sie haben auch zurzeit noch nicht das sechzehnte Lebensjahr vollendet (Art. 4 S. 2 HKÜ).
b) Der mitsorgeberechtigte Beteiligte zu 1 hat beim zuständigen AG - FamG - Naumburg (§ 12 Abs. 1 IntFamRVG) eine Entscheidung auf der Grundlage des HKÜ beantragt, um eine Rückgabe der Kinder zu erwirken (Art. 11 Abs. 1 Brüssel-IIa-VO).
c) Das Verbringen der Kinder in die Bundesrepublik Deutschland gilt als widerrechtlich, da dadurch das Mitsorgerecht verletzt wurde, das dem in den Niederlanden wohnenden Beteiligten zu 1 nach dem dortigen Recht zusteht und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen nicht stattgefunden hätte (Art. 2 Nr. 11 S. 1 Brüssel-IIa-VO i.V.m. Art. 3 HKÜ):
aa) Dem betroffenen Elternteil braucht nur das Recht zuzustehen, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen (Art. 5 Buchst. a HKÜ). Schon bei einer Verletzung eines solchen "Mitspracherechtes" ist ein widerrechtliches Verbringen des Kindes (Art. 3...