Leitsatz (amtlich)

1. Verlangt die Vergabestelle innerhalb der Angebotsfrist die Vorlage einer Urkalkulation im verschlossenen Umschlag, so gehört dieser Umschlag zu den "wesentlichen Teilen einschließlich der Anlagen" des Angebots i.S.v. § 22 Nr. 3 lit. b) Satz 2 VOL/A und unterliegt der Kennzeichnungspflicht.

2. Der Eingangsvermerk nach § 22 Nr. 1 VOL/A muss seinen Aussteller erkennen lassen, damit auch in Vertretungs- und Mehrfachvertretungsfällen unkompliziert festgestellt werden kann, wer die Sendung entgegengenommen und verwahrt hat.

3. Sind in einem Nichtoffenen Verfahren alle eingegangenen Angebote nicht wertbar, weil ein Verstoß gegen § 22 Nr. 1 und Nr. 3 lit. b) VOL/A vorliegt, so muss das Vergabeverfahren zumindest ab Versendung der Verdingungsunterlagen und Aufforderung zur Angebotsabgabe wiederholt werden; eine Aufhebung des Vergabeverfahrens ist nicht erforderlich.

 

Verfahrensgang

2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 17.12.2007; Aktenzeichen 2 VK LVwA 23/07)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 17.12.2007, 2 VK LVwA 23/07, aufgehoben.

Dem Antragsgegner wird untersagt, im vorliegenden Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen, ohne zuvor das Vergabeverfahren ab Versendung der Verdingungsunterlagen an alle ausgewählten Bewerber wiederholt zu haben.

Die weiter gehende sofortige Beschwerde der Antragstellerin sowie die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1) werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) als Gesamtschuldner zu tragen. Die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer werden auf 18.574,03 EUR festgesetzt. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war für die Antragstellerin notwendig.

Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin, der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) zu je einem Drittel zu tragen. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Gebührenstufe bis zu 1.350.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner ist ein Zweckverband nach öffentlichem Recht, gegründet und betrieben zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung im Verbandsgebiet mit derzeit etwa 30.000 Einwohnern sowie mit gewerblichen Kunden. Seine Verbandsmitglieder sind ausschließlich kommunale Gebietskörperschaften.

Im Mai 2007 schrieb er den o.g. Dienstleistungsauftrag der vollständigen technischen und kaufmännischen Betriebsführung sowie der Geschäftsbesorgung der laufenden Verbandsgeschäfte ab dem 1.10.2007 EU-weit im Nichtoffenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen - Ausgabe 2006, dort Abschnitt 3 (VOL-SKR) zur Vergabe aus. Die Ausschreibung erfolgte mit funktionaler Leistungsbeschreibung unter Vorgabe eines Betriebsführungsvertrages und des Abschlusses eines Personalüberleitungsvertrages sowie eines Mietvertrages über Gewerbeflächen des Antragsgegners. Der Betriebsführungsvertrag sah u.a. in §§ 5 bis 8 die Beistellung aller technischen Anlagen zur Nutzung und Erhaltung sowie in § 25 Abs. 5 die Beistellung der gesamten IT-Infrastruktur zur Nutzung, Weiterführung und Pflege durch den Auftragnehmer über die gesamte Vertragslaufzeit vor. Als Vertragsdauer waren fünfzehn Jahre vorgesehen mit einer einmaligen fünfjährigen Verlängerungsoption des Antragsgegners. Das ordentliche Kündigungsrecht war für beide Vertragsparteien ausgeschlossen. Allerdings war dem Antragsgegner ein einmaliges Sonderkündigungsrecht zum 30.9.2012, also nach Ablauf von fünf Jahren, einzuräumen; für den Fall der Ausübung des Kündigungsrechts sollte dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Zahlung einer von ihm anzubietenden sog. Ausstiegspauschale zustehen (vgl. § 19 Betriebsführungsvertrag).

Die Anforderungen an das abzugebenden Angebot sahen unter Ziff. 1.1. u.a. vor, dass "... das Angebot (Angebotsschreiben), die Übersicht, die Angebotsbedingungen, die Wertungskriterien, der Betriebsführungsvertrag, die Leistungsbeschreibung, der Personalüberleitungsvertrag, der Gewerbemietvertrag ..." vollständig auszufüllen, an der jeweils dafür vorgesehenen Stelle zu unterschreiben und "... als Angebot 3-fach in einem verschlossenen Umschlag ..." einzureichen seien. Der verschlossene Umschlag sei außen mit dem beiliegenden Aufkleber, Namen und Anschrift des Bieters zu versehen.

Nebenangebote waren nach Ziff. 2.1 nur bei gleichzeitiger Abgabe eines Hauptangebotes zugelassen und pro Bieter auf ein Nebenangebot begrenzt. Als Mindestbedingung war angegeben, dass Nebenangebote "... den Betriebsführungsvertrag, mit Ausnahme der Zahlungsmodalitäten in § 36, voll inhaltlich anerkennen ...". Es müsse in der technischen und kaufmännischen Betriebsführung mindestens gleichwertig zu den Leistungen i...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge