Leitsatz (amtlich)
Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass ein Unterhaltsschuldner im Einzelfall auch gehalten sein kann, neben einer vollschichtigen Tätigkeit eine Nebentätigkeit zur Sicherung des Kindesunterhalts auszuüben. Hierzu bedarf es jedoch jeweils einer Prüfung und Feststellung im Einzelfall.
Verfahrensgang
AG Gardelegen (Aktenzeichen 52 F 100/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG Gardelegen vom 25.2.2002 – 52 F 100/01, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, z.H. des Kindesvaters, ab dem 1.7.2001 bis zum 30.9.2001 einen monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 11,35 Euro zu zahlen, für den Monat Oktober 2001 Kindesunterhalt i.H.v. 11,08 Euro zu zahlen und ab dem 1.11.2001 einen monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 4,4 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gem. § 2 RegelbetragsVO zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 95 % und die Beklagte zu 5 %.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für die Berufung wird auf 3.485,99 Euro festgesetzt.
Von der Anführung eines Tatbestandes wird nach § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 26 Ziff. 9 EGZPO abgesehen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Der Beklagten ist antragsgemäß hinsichtlich der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO gewährt worden. Im Übrigen ist die Berufung form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Die Klage der minderjährigen Klägerin ist überwiegend unbegründet. Zwar ist die Klägerin bedürftig i.S.v. § 1602 BGB. Dennoch ist die Beklagte gem. §§ 1601, 1602, 1603, 1612, 1612a, 1612b, 1613 BGB lediglich verpflichtet, Kindesunterhalt in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu zahlen. Einem weitergehenden Unterhaltsanspruch der Klägerin steht die Leistungsunfähigkeit der Beklagten gem. § 1603 Abs. 1 BGB entgegen. Das tatsächliche Einkommen der Beklagten aus Erwerbstätigkeit (1.920 DM brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden bis November 2001 einschl.) bzw. aus Arbeitslosenhilfe reicht, insb. unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen der Beklagten ggü. der in ihrem Haushalt lebenden zahlreichen minderjährigen Geschwister der Klägerin, nicht aus, um den von der Klägerin geforderten Kindesunterhalt zahlen zu können. Vielmehr ist die Beklagte nach ihrem tatsächlichen Einkommen lediglich bis November 2001 in einem minimalen Umfang zur Zahlung des Kindesunterhalts fähig und anschließend unter Beachtung ihres eigenen Selbstbehalts i.H.v. 1.645 DM (750,00 Euro) leistungsunfähig.
Der Beklagten ist jedoch ein fiktives Einkommen i.H.v. monatlich 1.600 DM (818,07 Euro) netto zuzurechnen, weil sie ihrer Erwerbsobliegenheit ggü. der minderjährigen Klägerin nicht ausreichend nachgekommen ist. Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners wird nicht allein nach seinem tatsächlichem Einkommen bestimmt, sondern nach den im Einzelfall zumutbarerweise erzielbaren Einkünften (Palandt/Diederichsen, 61. Aufl., § 1603 BGB Rz. 58). Reichen die tatsächlichen Einkünfte zur Zahlung des nach § 1610 BGB angemessenen Kindesunterhalts nicht aus, trifft den Unterhaltsschuldner gem. § 1603 Abs. 2 BGB unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insb. seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Kommt er dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, muss er sich so behandeln lassen, als ob er das Einkommen, das er in zumutbarer Weise erzielen könnte, auch tatsächlich erzielt. Der gesteigerten Erwerbsobliegenheit der Beklagten steht nicht entgegen, dass sie die minderjährigen Geschwister der Klägerin betreut bzw. betreut hat. Grundsätzlich sind die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder der Beklagten gleichrangig. Die Beklagte hat zudem bereits während ihrer Berufstätigkeit in der Vergangenheit gezeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, trotz der Kinderbetreuung und -versorgung eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben. Grundsätzlich ist sie verpflichtet, eine ihren Fähigkeiten angemessene Tätigkeit zu verrichten. Maßstab sind die Berufsausbildung und die bisherig ausgeübte Tätigkeit sowie die weiteren persönlichen Eigenschaften des Unterhaltsschuldners (Wiedenlübbert, NJ 2002, 337 f.). Angesichts des beruflichen Werdegangs der Beklagten (gelernte Schweinezüchterin, bereits langjährig nicht mehr im erlernten Beruf tätig, anschließend überwiegend ABM-Tätigkeiten, unterbrochen durch mehrjährigen Erziehungsurlaub, sechs zu betreuende Kinder) kommt für die Beklagte lediglich eine Tätigkeit als ungelernte Mitarbeiterin auf dem Arbeitsmarkt in Betracht, wobei wiederum die Einsatzmöglichkeiten in zeitlicher und räumlicher Hinsicht auf Grund der Betreuung der minderjährigen Geschwister der Klägerin stark eingeschränkt sind. Es ist davon auszugehen, dass sie unter Berücksichtig...