Leitsatz (amtlich)

1. Eine für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch maßgebliche und den Fristenlauf des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB auslösende Schenkung liegt erst dann vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen. Dies ist nicht der Fall, wenn eine unentgeltliche Grundstücksüberlassung unter dem Vorbehalt eines lebenslangen Wohnrechts des Erblassers bzw. - im Falle seines Erstversterbens - seiner Ehefrau mit jeweiliger Pflegeverpflichtung und einer durch einen Rückübertragungsanspruch gesicherten Verpflichtung des Erwerbers erfolgt, das Grundstück zu Lebzeiten des Erblassers bzw. im Falle seines Erstversterbens bis zum Tode der Ehefrau nicht zu veräußern oder zu belasten.

2. Für die Beurteilung dieser Rechtsfrage ist es unerheblich, dass sich das Wohnrecht lediglich auf ca. 80 % der Nutzfläche des Wohngebäudes bezog; ohne Bedeutung ist auch, ob der Erblasser das ihm eingeräumte Wohnrecht tatsächlich in Anspruch nahm.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 11.11.2021; Aktenzeichen 9 O 1328/17)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.11.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird teilweise als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen eine Verurteilung in der Hauptsache von 2.191,06 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23.08.2019 wendet.

II. Auf die weitergehende Berufung der Beklagten wird das am 11.11.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zu Klarstellungszwecken insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 112.912,40 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.08.2019 zu zahlen.

Der Beklagten wird als Erbin die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des Erblassers J. L. vorbehalten. Dieser Vorbehalt betrifft nicht die Kostenentscheidung.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Widerklage wird als unzulässig abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen in erster Instanz der Kläger zu 56 % und die Beklagte zu 44 % und in der Berufungsinstanz der Kläger zu 12 % und die Beklagte zu 88 %.

IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Und beschlossen:

Der Streitwert für die Gebührenberechnung wird für die erste Instanz auf 258.959,57 EUR und für die Berufungsinstanz auf 63.331,90 EUR festgesetzt, §§ 40, 43, 45 Abs. 1 S. 1 und 3, 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

 

Gründe

A. Die Parteien sind Geschwister. Der Kläger begehrt seinen Pflichtteil sowie Pflichtteilsergänzung nach dem letztverstorbenen Vater.

Der Erblasser und Vater der Parteien, J. L., übertrug in Anwesenheit seiner Ehefrau E. L., mit der er in Gütertrennung lebte, mit notarieller Urkunde der Notarin P. in H. zu UR-Nr. 362/2002 am 07.03.2002 den Grundbesitz in der P. Straße bzw. P. Straße 21 in A., bestehend aus mit einem Einfamilienhaus, Garage und Nebengelass bebauten Grundstücken, an die Beklagte. Zugleich übertrug er das Grundstück H. Straße 41 in A., bestehend aus einem mit einem Einfamilienhaus nebst Hinterhaus, Stallungen und Nebengebäuden bebauten Grundstück, an die Schwester der Parteien, C. L. . Unter § 3 des Vertrages vereinbarten die Vertragsparteien ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht der Eltern für das jeweilige Parterre der Hausgrundstücke P. Straße bzw. P. Straße 21 und H. Straße 41 unter Ausschluss der Eigentümer. Der Wohnraum im jeweiligen Parterre der Häuser macht dabei rund 80 % der Gesamtnutzfläche aus. Zudem verpflichteten sich die Schwestern zur lebenslangen Pflege und Betreuung der Eltern. Der übertragene Grundbesitz durfte bis zum Tode des Veräußerers, im Falle seines Erstversterbens bis zum Tode seiner Ehefrau, nicht veräußert oder belastet werden, anderenfalls waren die Empfänger zur Rückübertragung verpflichtet. Auf den weiteren Inhalt der Urkunde wird Bezug genommen (Anl. K 25, Anlagenband Kläger). Der Erblasser und seine Ehefrau errichteten jeweils am 06.07.2010 ein privatschriftliches Testament, in dem der Kläger enterbt und die beiden Töchter, die Beklagte und C. L., je zu 1/2 als Erben eingesetzt wurden. Die Eheleute bewohnten jeweils bis zu ihrem Tod das Haus P. Straße /P. Straße 21 in A..

Die Mu...

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