Leitsatz (amtlich)

Mutmaßliche Einwilligung des Patienten in die Erweiterung eines zahnärztlichen Eingriffs (hier: Wurzelspitzenresektion) bei intraoperativer Entdeckung einer Knochenzyste im Bereich der Zahnwurzel.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 22.12.2006; Aktenzeichen 9 O 1669/05)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.12.2006 verkündete Urteil des LG Magdeburg, 9 O 1669/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht.

und beschlossen:

Der Kostenwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.637 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat die Einwendungen der Beklagten gegen den Grund der Klageforderung sowie die Widerklage der Beklagten im Ergebnis zu Recht als unbegründet angesehen. Die Beklagte hat aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Schadenersatz gegen den Kläger aus der zahnärztlichen Behandlung im Zeitraum von August 2002 bis Ende Dezember 2003. Insbesondere hat sich der Kläger nicht durch den operativen Eingriff vom 7.1.2003 schadenersatzpflichtig gemacht.

1. Die Beklagte hat in die Durchführung der Operation vom 7.1.2003 wirksam eingewilligt. Insbesondere ist sie vor ihrer Entscheidung ausreichend über den Eingriff und die hiermit verbundenen Risiken aufgeklärt worden, so dass dem personalen Anspruch der zahnärztlichen Behandlung pflichtgemäß Rechnung getragen worden ist.

1.1. Der Umfang der notwendigen Aufklärung des Patienten über den Verlauf, die Chancen und die Risiken eines Eingriffs orientiert sich zunächst daran, welcher Eingriff vom behandelnden Arzt beabsichtigt ist und welche Erweiterungen des Eingriffs u.U. absehbar sind. Es ist grundsätzlich - und so auch hier - abzustellen auf die - objektivierte - Sicht des behandelnden Arztes im Vorfeld der Operation, also zum Zeitpunkt des Aufklärungsgespräches. Im hier maßgeblichen Zeitraum vor dem 7.1.2003 war die entzündungshemmende Wurzelbehandlung durch den eröffneten Wurzelkanal gescheitert, so dass eine chirurgische Wurzelspitzenresektion medizinisch angezeigt war. Hierbei handelte es sich, was die Beklagte nicht in Abrede stellt, um eine sog. absolute Indikation, d.h. die weitere Behandlung der entzündeten Zahnwurzel des Zahnes 23 war wegen der erheblichen Schmerzen der Beklagten dringend notwendig, sie konnte nicht ohne einen Schaden für die Beklagte unterlassen werden. Die Beklagte ist über die Risiken der anstehenden Wurzelspitzenresektion vollständig aufgeklärt worden. Hierzu war eine Aufklärung über etwaige Nervirritationen nicht geboten, insbesondere auch nicht über eine vorübergehende Beeinträchtigung des sog. Gefühlsnervs (N. infraorbitalis), welche sich hier später einstellte. Der gerichtliche Sachverständige hat angegeben, dass über dieses Risiko nach allgemeiner Auffassung nicht aufzuklären ist, wobei er sich u.a. auch auf eine fehlende entsprechende Empfehlung in den Leitlinien der AMWF berufen hat. Er hat darüber hinaus sehr anschaulich ausgeführt, dass zwischen dem Operationsgebiet einer Wurzelspitzenresektion am Zahn 23 und den Nervensträngen bei normalen anatomischen Verhältnissen ein derart großer Abstand besteht, dass ein ausreichender Handlungsspielraum für den Operateur ohne Gefahr der Läsion dieser Nerven vorhanden ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige in seinem Gutachten vom 29.11.2005, dort S. 8 (vgl. GA Bd. I Bl. 163, 170), eine solche Aufklärung gleichwohl für "angebracht" erachtet. Damit hat der Sachverständige, wie sich schon aus dem genannten Gutachten ergibt, weiter aber auch aus seinem Ergänzungsgutachten vom 12.3.2006, dort S. 3 und 4 (vgl. GA Bd. I Bl. 191, 193 f.), nur ergänzt, dass er persönlich eine entsprechende Aufklärung für zweckmäßig hält, nicht aber für ein nach dem Facharztstandard obligatorisches Vorgehen. Nachdem bereits eine Aufklärungspflicht nicht festgestellt werden konnte, durfte das LG und der Senat die streitige Tatfrage offen lassen, ob die Beklagte nicht ohnehin über dieses Risiko aufgeklärt worden ist, wie der Kläger unter Beweisantritt (vgl. Schriftsatz vom 8.7.2005 (vgl. GA Bd. I Bl. 120, 121) behauptet hat.

1.2. Soweit die geplante Operation während ihrer Durchführung erweitert worden ist um die Entfernung der radikulären Knochenzyste oberhalb der Zahnwurzel des Zahnes 23, ist dieses Vorgehen des Klägers durch die mutmaßliche Einwilligung der Beklagten gedeckt.

Eine Aufklärung über den Verlauf, die Risiken der Nichtbehandlung und die Risiken der operativen Entfernung der Zyste musste der Kläger vor Beginn der Operation nicht vornehmen. Er konnte vor Beginn der Operation nicht vorhersehen, dass eine dera...

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