Leitsatz (amtlich)
Bei einer Schlaglochtiefe ab ca. 20 cm Tiefe kann das bloße Aufstellen eines allgemeinen Warnschildes, welches auf Straßenschäden hinweist oder auch eine drastische Geschwindigkeitsreduzierung als Maßnahme des Verkehrssicherungspflichtigen nicht ausreichend sein.(Rz. 34) Werden bei einer Straßenkontrolle auf einer vielbefahrenen und zentralen Straße zwei großflächige, 16 cm bzw. 20 cm tiefe Schlaglöcher festgestellt, erfordert dies Sicherungsmaßnahmen wie das sofortige Sperren der Gefahrstelle, etwa zunächst durch das Kontrollfahrzeug bzw. ggf. mitgeführte Warnbaken.(Rz. 33)(Rz. 38)
Normenkette
GG Art. 34 S. 1; BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 253 Abs. 2, § 839 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 19.03.2012; Aktenzeichen 3 O 1772/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.3.2012 verkündete Urteil des LG Halle, Az.: 3 O 1772/11, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das am 19.3.2012 verkündete Urteil des LG Halle ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung aus beiden Urteilen gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt 3.558,83 EUR.
Gründe
I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des am 19.3.2012 verkündeten Urteils des LG Halle Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Ergänzend wird ausgeführt:
Als Anlagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8.3.2012 reichte der Klägervertreter Abzüge von drei mit dem iPhone des Klägers ca. eine Stunde nach dem Unfall gefertigte Fotos von der Unfallstelle ein (Bl. 67 ff. d.A.). Ein Bild zeigt die nächtliche Straße mit zwei Schlaglöchern, wobei in dem vorderen Schlagloch ein am ersten Teilstück abgeknickter Zollstock steckt. Das im Schlagloch stehende Teilstück des Zollstocks ist zu ca. zu 1/3 sichtbar und verschwindet im Übrigen in dem Dunkel des Schlaglochs.
Das LG hat der Klage vollumfänglich stattgegeben mit folgender Begründung:
Die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten als Straßenbaulastträgerin hätten die ihnen als Amtspflichten zugunsten des Klägers als Verkehrsteilnehmers obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, indem sie die spätere Unfallstelle trotz des ihnen bekannten Schlaglochs ungesichert und ohne angemessene Warnung weiterhin für den Verkehr freigegeben ließen.
Das LG war aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers, G. R., die zur Zeit des Unfalls Beifahrerin im verunfallten Kraftfahrzeug gewesen war, der Polizeibeamten G. H. und B. F., die mit dem Kläger und dessen Ehefrau nachträglich die Unfallstelle besichtigten und die Schlaglöcher vermaßen sowie das Protokoll des Unfalls aufnahmen, und des J. D., der zur Zeit des Unfalls als Teamleiter Straßenaufsicht beim Tiefbauamt der Stadt H. tätig war, als Zeugen davon überzeugt, dass sich der Unfall so ereignet hatte, wie vom Kläger dargestellt. Danach befanden sich gemäß der Darstellung in der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige an der Unfallstelle am Unfalltag, dem 12.1.2011, gegen 17.30 Uhr, die dort beschriebenen zwei großen und tiefen Schlaglöcher (ein größeres Schlagloch mit einer Breite von 1,10 m, einer Länge von 0,90 m und einer Tiefe von 0,16 m und ein zweites, kleineres Schlagloch mit einer Tiefe von 0,20 m).
Das LG war weiter aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass zur Zeit des Unfalls Warnschilder noch nicht aufgestellt waren.
Das LG ging nicht von einem Mitverschulden des Klägers aus, weil er sich mit seinem Fahrzeug im dichten innerstädtischen Verkehr bewegt habe mit üblicherweise geringen Abständen zwischen den Fahrzeugen, der Zustand der Straße insgesamt gut gewesen sei und die Schlaglöcher optisch nur schwer erkennbar gewesen seien.
Die geltend gemachten Schadenspositionen seien schlüssig dargelegt und von der Beklagten nicht substantiiert angegriffen worden.
Mit ihrer am 4.4.2012 bei dem OLG eingegangenen Berufung, die die Beklagte nach Fristverlängerung vom 23.5.2012 bis zum 23.6.2012 mit einem Schriftsatz vom 22.6.2012, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründete, macht die Beklagte im Wesentlichen geltend:
Die Feststellungen des LG zur Schlaglochtiefe seien fehlerhaft.
Die Aussage des Zeugen G. H., die Schlaglöcher seien 16 cm und 20 cm tief gewesen, sei unglaubhaft, denn diese Aussage stehe im Gegensatz zu dem von der Klägerseite vorgelegten Foto mit dem Zollstock in einem der Schlaglöcher. Das erste Teilstück des Zollstocks befinde sich maximal zur Hälfte im Schlagloch. Da die Glieder eines Zollstocks stets 20 cm lang seien, was als gerichtsbekannt unterstellt werde, und weil davon auszugehen sei, dass der Zollstock nicht in das flachere sondern in das tiefere der beiden Schlaglöc...